Die Ängstlichen - Roman
diesen Ort zurückgekehrt. Doch die Stimmung und die Atmosphäre, die nun herrschten, waren nicht mehr die gleiche.
Ein paarmal hatte er mit dem Gedanken gespielt, Ben wieder anzurufen, ihn aber sogleich verworfen. Was konnte der schon für ihn tun? Für Ben, der, wie es schien, inzwischen ein halbwegs geregeltes Einkommen nachweisen konnte, waren 90 000 etliche Nummern zu groß. Natürlich konnte er Helmut oder, besser noch, Ulrikes Mann Rainer bitten, ihm die Summe vorzustrecken. Doch sowohl Rainer als auch Helmut wussten natürlich, dass er niemals imstande sein würde, ihnen das Geld zurückzuzahlen.
Nein, auf legalem Weg war das Geld, das er Dreyfuss schuldete, nicht zu beschaffen. Janek kam sich vor wie ein Poolbillardspieler, der seit geraumer Zeit erfolglos versuchte, die schwarze Acht ins Loch zu manövrieren. Bis er realisierte, dass jemand die Tasche, am Ende der Längsbande, mit schwarzem Isolierband zugeklebt hatte. Also musste er ein Messer zücken und ein Loch in das Isolierband schneiden, ganz einfach! Beste Voraussetzungen für ein interessantes Spielchen, dachte Janek schmunzelnd und überlegte, wie er auf dem schnellsten Wege Zigaretten auftreiben konnte.
S chon früher hatte Ulrike ein paar Mal irritiert gedacht, den vibrierenden Steuerknüppel eines führerlos dahinrasenden Wagens in der Hand zu halten und auf dem immer gleichen stumpfsinnigen Rundkurs im Kreis herumzuschlingern, wenn sie vor Rainer, der entspannt und mit halb geschlossenen Lidern nackt auf dem Rücken lag, kniete, mit den Fingern sein straffes Glied umschlossen hielt und spürte, wie das darin gestaute Blut pulsierte.
Auch diesmal gehorchte alles der vor langer Zeit wortlos zwischen ihnen festgelegten und, wie es schien, unveränderlichen Choreographie: die kurze rhythmische und nicht nachlassende Auf- und Abbewegung ihres rechten Unterarms, Rainers sich steigernde Atemfrequenz und auch das Anspannen seiner Beinmuskulatur. Bis sie fühlte, wie sich alle Energie seines Körpers in dessen Mitte, unter ihren Händen, sammelte, Rainer sich aufbäumte und ihr in drei, vier kurzen ruckartigen Schüben seinen Samen auf beide Brüste spritzte.
Nachdem er sich erholt hatte, drang er, begleitet von knappen, empörend spärlichen Vorbereitungen, kurzerhand in sie ein, wand und räkelte sich auf ihr wie ein mit einem Tranchiermesser an der Schwanzflosse auf einem Küchenbrett festgenagelter Flussbarsch. Bis sie ihm mit einem anschwellenden kurzen und an das fragende Gurren einer hungrigen Taube erinnernden Laut signalisierte, dass sie ihren Höhepunkt erreicht hatte (was natürlich gelogen war), und er sich seitlich von ihr herunterrollte.
Schon vor langer Zeit hatte Ulrike aufgehört, von Rainer mehr im Bett zu erwarten. Jedes noch so hastige Frühstück nahm im Hause Taubitz mehr Zeit in Anspruch als der eheliche Austausch von Körpersäften.
Rainer litt seit geraumer Zeit an vorzeitigem Samenerguss (eine Spätfolge seiner Vasektomie?), hatte dieses Problem aberirgendwann zum Status quo erklärt, an dem nicht zu rütteln war. Deshalb befriedigte Ulrike ihn regelmäßig zunächst mit der Hand, ehe sie sich auf den Rücken legte und darauf wartete, dass er, wieder bei Kräften, flüchtig in sie eindrang.
Später, wenn Rainer im Fernsehzimmer saß, an seinem selbst zubereiteten Energiedrink nuckelte oder an dem Kakao, den sie ihm bisweilen hingebungsvoll kochte, und nicht damit zu rechnen war, dass er ins Schlafzimmer zurückkehrte, legte sie sich noch einmal hin und gönnte sich mit Hilfe des Vibrators, den sie lüstern aus der Nachttischschublade hervorzog, eine süße Nachspeise. Bis sie sich im entscheidenden Moment das Kissen aufs Gesicht drückte und ihre Ekstase hineinstöhnte. Rainer tat das nicht weh, vor allem aber erlebte sie jene selten gewordenen Momente der Selbstbegegnung, die ihr nicht einmal mehr gelangen, wenn sie morgens vor dem Spiegel stand und mit lautlos sich bewegenden Lippen aufsagte, was es im Laufe des vor ihr liegenden Tages zu erledigen galt.
Diesmal allerdings glaubte Ulrike gegen Ende ihres kurzen, gewohnt freudlosen Zusammenseins mit Rainer etwas Fremdes, Unvertrautes aus der Art herauszuhören, wie er stöhnte. Er tat es irgendwie noch gelangweilter als sonst, noch abwesender. Wie eine von fremder Hand nachträglich in ein Beatles-Stück eingefügte Note hatte sich diesmal ein sie irritierender, weil nicht zu überhörender Miss- oder Unterton in ihr stereotypes Beischlafschema
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