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Die Ängstlichen - Roman

Die Ängstlichen - Roman

Titel: Die Ängstlichen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Grund auf zu ändern, sofern man ihm noch die Gelegenheit dazu ließ.
    Ungezählte Megawattstunden Gedankenenergie hatte er darauf verwendet, sich dummes Zeug auszudenken, um andere damit zu unterhalten und zu belustigen, hatte flotte Sprüche am Fließband geklopft. Doch nicht einen Bruchteil dieser kostbaren, unwiederbringlichen Energie hatte er genutzt, um einmal über sich selbst nachzudenken, darüber, wer er war, welchen Sinn seine Existenz hatte und worin der des Lebens ganz allgemein bestand.
    Gewiss würde die eingetretene Krise keinen Philosophen mehr aus ihm machen. Doch dass er endlich zu sich fand, dazu war es noch nicht zu spät (das hoffte er jedenfalls).
    Helmut nahm das Otriven-Nasenspray aus der Tasche, zog die grüne Verschlusskappe ab und führte die Sprühtülle in das rechte Nasenloch ein. Und während er durch kräftiges Drücken den Sprühmechanismus aktivierte, fragte er sich (in einer Art Ranking), welches die Dinge waren, die man ernst nehmen musste, damit das Leben einen Sinn hatte. Aufrichtigkeit? Freundschaft? Die Bereitschaft, für sich und andere zu kämpfen? Die eigene Zerbrechlichkeit? Ja, er würde um sein Leben kämpfen. Im selben Moment ging die Tür auf, und Dr. Bender stand, mit einem lässig um den Hals geklemmten Stethoskop, im Rahmen, streckte ihm die Hand entgegen und sagte mit einem statischen Lächeln: »Herr Jansen, kommen Sie bitte!«
     
    U lrike sah kurz in den Rückspiegel, setzte den Blinker und lenkte den Wagen, einen nachtschwarzen VW Golf GTI, nachdem der Strom der entgegenkommenden Fahrzeuge kurz abriss, mit einem beherzten Tritt aufs Gaspedal um dieKurve. Nach nicht einmal hundert Metern fuhr sie an die Seite und hielt an, schaltete die Warnblinkanlage ein, nahm ihre cappuccinobraune Prada-Handtasche und stieg mit einem prüfenden Blick in den Rückspiegel aus.
    Entschlossen lief sie zum Briefkasten, zog das frankierte Kuvert aus der Tasche und warf es ein. Anschließend betrat sie eine Bäckerei, kaufte ein Roggenbrot und zwei Stück Käsekuchen. Und nachdem sie in der chemischen Reinigung Rainers Anzüge abgeholt hatte und im Supermarkt, einem Lidl, ein halbes Pfund Butter, WC-Reiniger, Kartoffelchips (Paprika), zwei Liter Milch (bio), Frischkäse, Wasa-Knäckebrot (mit Sesam), Tomaten (ebenfalls bio) sowie zwei Tafeln Milka-Vollmilch-Schokolade in ihren Einkaufswagen gelegt hatte, steuerte sie auf ihrem Weg zur Kasse auf die Kondome zu und nahm eine Packung »Fromms« aus dem Regal. Ulrike wollte wissen, wie es ist, wie es sich anfühlt, sich Kondome zu kaufen, und wie es sich für Rainer angefühlt haben mochte, als er welche kaufte, um sie zu betrügen.
    Ulrike musste an ihrer Tochte Clara denken, die ihnen kürzlich, mit winzigen Schweißperlen auf der leicht zitternden Oberlippe, gebeichtet hatte, schwanger zu sein. Dabei war Clara in ihren Augen selbst noch ein halbes Kind, albern, unerwachsen und nicht im mindesten imstande, Verantwortung für einen anderen schutzlosen Menschen zu übernehmen. (Mehr als einmal dachte Ulrike erbost: wie hatte sie es bloß zulassen können, sich von diesem blöden KFZ-Mechaniker schwängern zu lassen?) Dass sie Brüste hatte, enge, manchmal irritierend kurze Röcke trug und alle paar Wochen menstruierte, besagte gar nichts. Clara war noch ein halbes Kind und die Tatsache, dass sie schwanger geworden war, eine mittelschwere Katastrophe. Genau wie bei ihren älteren Brüdern Carl und Robert, die regelmäßig in dies und jenes reinschlitterten, waren Claras Versuche,sich als Fußpflegerin durchzuschlagen, ein Witz. Denn die vor nicht allzu langer Zeit ambitioniert mit medizinischen Schautafeln vollgehängten Praxisräume, die sie und Rainer ihr im Keller ihres Hauses mietfrei zur Verfügung gestellt hatten, erinnerten inzwischen mehr an einen Bastelkeller als an Behandlungsräume, in denen Hühneraugen und eingewachsenen Zehennägeln der Garaus gemacht wurde. (Ulrike hatte Clara immer vor sich gesehen, wie sie sich, mit einem Mundschutz im Gesicht und einer Art Käsehobel in der Hand, entschlossen über die exorbitant verhornten Fersen der Fuldaer Gemüsefrauen hermachte, um trockene, an höhlengereiften italienischen Hartkäse erinnernde Hornhautspäne im Keller regnen zu lassen.)
    Was habe ich nur falsch gemacht, fragte sich Ulrike, dass die drei partout nicht erwachsen werden wollen? Liebe ich sie vielleicht zu sehr? Und weshalb gelingt es ihnen nicht, von mir loszukommen? Immerzu kam einer von ihnen übers Wochenende

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