Die äußerst seltsame Familie Battersby (German Edition)
unerträglich. Sie haben eine Abneigung gegen klare, deutliche Worte, es sei denn, sie kommen aus ihrem eigenen Mund. ›Du weißt ganz genau, dass wir bei Zauberei nicht mehr mitmachen‹, würde Gertie jetzt sagen. ›Das ist so angeberisch . Vor fünfhundert Jahren vielleicht. Aber heute doch nicht mehr. Heutzutage sind wir vornehm !‹ Meine andere Schwester, deine Mutter, wäre vielleicht nicht so schroff zu mir wie Gertie. Aber auch ihr fehlt letztlich die innere Größe, um zu begreifen, was in mir vorgeht.«
Mit dem letzten Satz wusste Ralph nichts anzufangen. Er hatte seine Mutter häufig als streng oder nervig empfunden, aber fehlende ›innere Größe‹? Was hatte innere Größe mit seinen Eltern zu tun?
»Aber du bist anders als deine Mutter, nicht wahr? Du kannst mich besser verstehen, habe ich nicht recht?«, fuhr Chessie fort. »Alle jungen Amerikaner stehen auf Märchen-Flair.«
Ralph erinnerte sich an einen von Chessies Werbeauftritten – ein Foto, auf dem sie in unerhört knappem Sportdress ein Laufband anpries. Sie war wirklich keine Vorzeige-Patentante. Weil Ralph sich aber immer um die richtige Antwort bemühte, wenn ein Erwachsener eine Frage stellte, sagte er: »Ich glaube, der Adel hat für uns Amerikaner immer eine gewisse Magie. Einen Zauber, der uns fehlt. Bei uns gibt’s so was ja nicht.«
»Aber bist du nicht auf deine Weise auch ein Zauberer, Schätzchen?«
»Nein, warum? Na ja. Kommt drauf an, was du damit meinst«, sagte Ralph in der stillen Hoffnung, Chessie würde ihm eine Prophezeiung offenbaren, aus der hervorginge, was er mit seinem Leben anstellen sollte.
»Du und deine Spiele-Ideen. Du bist doch selbst ein Märchenmacher.«
»Woher weißt du das? Vor ein paar Sekunden hast du doch noch gedacht, ich wäre tot.«
»Ich bin eine gute Fee , Ralph. Ich dachte, das hätten wir bereits geklärt.«
»’tschuldigung. Red weiter!«
»Nun, viel mehr habe ich nicht zu sagen. Nur dass wir dasselbe suchen. Wir haben den gleichen, typisch amerikanischen Wagemut. Du ähnelst mir viel mehr als Gerties Kinder. Das habe ich auf Anhieb gewusst. Selbst zu Hause in den Staaten hast du dich nie so richtig verstanden gefühlt, stimmt’s?«
Etwas erschrocken nickte Ralph.
»Wir sind Zauberer. Oder wollen es zumindest sein. Nur dass es bei dir bis jetzt noch nicht so gut gelaufen ist. Stimmt’s?«
»Keine Ahnung.« Ralph zog die Knie an die Brust.
»Ist schon okay, Schätzchen. Ich kann dir helfen.«
»Wie?«
»Was, fragst du dich das wirklich? Hör doch zu: Ich gewähre Wünsche .«
»Also bietest du mir einen Wunsch an?«
Chessie nickte.
»Okay …« In diesem Moment beschloss Ralph, die jahrelangen Warnungen seiner Eltern in den Wind zu schießen. »Ich wünsche mir …«
»Nein, nein, jetzt noch nicht! Eins nach dem anderen. Ich kann dir deinen Wunsch erst gewähren, wenn die Battersby-Kinder dran waren.«
»Oh. Warum?«
»Ralph, vor ein paar Minuten hast du mir noch weismachen wollen, du wärst tot. Wünsche muss man gut vorbereiten, die kann ich nicht einfach so aus dem Ärmel schütteln.«
»Gut, und wann kriege ich meinen Wunsch?«
»Sehr ichbezogen. Dagegen solltest du etwas tun. Unbedingt.«
»Hör zu, du kannst nicht einfach in mein Schlafzimmer reinplatzen, mir einen Wunsch anbieten und dein Angebot gleich wieder zurückziehen!«
Chessie taxierte ihn. »Nun ja, ganz schön anspruchsvoll – und ehrgeizig. Erstaunlich. Du wirst hart dafür arbeiten, stimmt’s?«
»Sag mir, was du willst, und ich kümmere mich darum.«
»Was ich will, ist einfach«, erklärte Chessie. »Ich muss an die Battersby-Kinder rankommen, und sei es auch nur für den Bruchteil einer Sekunde.«
»Da muss ich erst mit Gertie reden.«
»Du hast offenbar schon wieder nicht richtig zugehört und nichts verstanden! So kommen wir nicht ins Geschäft.« Und mit diesen Worten verschwand Chessie. Zurück blieb nur eine erloschene Zigarette, an deren Filter roter Lippenstift klebte.
10. Kapitel
Als sich Chessie in der folgenden Woche nicht ein einziges Mal blicken ließ, fürchtete Ralph, dass er sie nie wiedersehen würde. Diese Sorge ließ ihn nicht mehr los. Wenn er abends vor dem Einschlafen las, wanderte sein Blick ständig zum Fußende des Bettes, oder er saß stundenlang im Innenhof und hielt nach einer Märchenkutsche Ausschau. Aber die zaubernde Herzogin schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Um sich abzulenken, unternahm Ralph viel mit seinem Cousin und seinen Cousinen. Bald
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