Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition)
Zunft unter den Kollegen durchaus gefürchtet ist. In seinem Aufsatz »Gang und Gesichtspunkte der kriminalprognostischen psychiatrischen Begutachtung«, erschienen 1999 in der renommierten Neuen Zeitschrift für Strafrecht, findet sich gleich am Anfang folgendes AperÇu: Die externe kriminalprognostische Begutachtung »ist ausgewiesenen Fachleuten der forensischen Psychiatrie und Psychologie vorbehalten und nichts für Berufsanfänger, geschweige denn für gutwillige Dilettanten«. Dieser Aufsatz wird im Verfahren Mollath eine entscheidende Rolle spielen. Denn Mollath hat ihn gelesen. Die Art, wie da einer über das Entstehen eines Gutachtens schreibt, die hat ihm imponiert.
Simmerl stuft in seinem Gutachten Mollath keineswegs als einen für die Allgemeinheit gefährlichen Wahnkranken ein, und die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg reagiert darauf. Würden die Richter nicht handeln und mindestens ein weiteres Gutachten einholen, könnte das den Juristen um die Ohren fliegen. Freiheitsberaubung ist kein Kavaliersdelikt. Also beauftragt die Strafvollstreckungskammer im April 2008 Hans-Ludwig Kröber mit der forensischen Begutachtung Mollaths. Der ist damit einverstanden.
Mollath stellt aber zwei völlig nachvollziehbare Bedingungen: Er will vorher seine Krankenakten einsehen, um eventuell dort aus seiner Sicht falsch dargestellte Sachverhalte im Gespräch mit Kröber richtigstellen zu können. Und er will rechtzeitig über den Zeitpunkt der Begutachtung informiert werden.
Mollath kannte den erwähnten Aufsatz, in dem Kröber beschrieben hatte, wie man ein ordentliches Gutachten macht – was schon damit anfange, sich als Gutachter rechtzeitig beim Probanden anzumelden. Das fand Mollath gut.
Die Realität ist aber offenkundig eine andere: Mollath gibt an, er sei »ohne vorherige Ankündigung an einem Tag, als Kröber noch jemand anderen in Bayreuth untersuchte, um halb sechs aufgerufen« worden. Er fühlte sich überrumpelt. Keiner habe ihn, Mollath, auf den bevorstehenden Besuch des Gutachters vorbereitet. Auch die erbetenen Krankenunterlagen hat er nicht zu Gesicht bekommen. Beide Bedingungen wurden also nicht eingehalten. Deshalb lehnt er die Untersuchung durch Kröber an diesem 4. Juni 2008 ab.
Anders als sein Kollege Hans Simmerl gut acht Monate zuvor in Straubing findet sich Hans-Ludwig Kröber damit ab. Wer nicht will, der hat eben schon. Hans-Ludwig Kröber geht nicht einfach, wie Simmerl, zu Mollath und spricht persönlich vor. Er fährt nach Berlin zurück und stützt sein Gutachten ausschließlich auf Akten.
Was war passiert? Hatte Kröber nicht selbst in seinem Aufsatz aufgefächert, dass man sich bei dem Untergebrachten anmelden muss, rechtzeitig? Fragt man nach bei Kröber, gibt er die (schriftliche) Auskunft: »Natürlich habe ich es damals bedauert, dass Herr Mollath infolge seines krankheitstypischen Misstrauens das Gespräch mit mir verweigert, und bedauere dies immer noch.« Aber? Kröber antwortet, er kündige seine Besuche in Kliniken oder Haftanstalten »meist ein bis zwei Wochen vorher« an. Dies diene dazu, sicherzustellen, »dass der Proband wirklich da ist und ich nicht vergeblich reise«. Er bitte dann jeweils darum, »auch den Untergebrachten von meinem Kommen zu informieren«. In Bayern funktioniere das manchmal, manchmal auch nicht. Besonders in Haftanstalten glaubten manche, erklärt Kröber, »es sei sicherer, wenn der Gefangene erst am gleichen Tag informiert wird«.
Jedenfalls sei er, Kröber, am 4. Juni 2008 um 16:30 Uhr in der forensischen Klinik des Bezirkskrankenhauses Straubing gewesen und habe dort eine halbe Stunde auf Herrn Mollath gewartet, der allerdings nicht gekommen sei. Man habe ihm dann mitgeteilt, Mollath wolle nicht. Am nächsten Tag sei er, Kröber, dann wieder in die Klinik gegangen und habe Mollath erneut das Gespräch anbieten lassen. Dieser habe ihm von einem Mitpatienten einen Zettel überbringen lassen: Bevor er mit ihm sprechen könne, müsse er Einblick in seine Krankenakten bekommen, worum er seit zwei Jahren kämpfe. Erst wenn dies erreicht sei, könne er mit ihm, Kröber, reden.
Mollath hat gewusst, dass Kröber ihn begutachten sollte. Aber er hatte eben um die Erfüllung seiner beiden Forderungen gebeten. Dass der Besuch Kröbers rechtzeitig angemeldet werden würde, das habe sich ja sozusagen von selbst verstanden, wird Mollath später über die Situation sagen. Immerhin habe er, Kröber, sich in einem fachwissenschaftlichen
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