Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition)
verwirrend.«
Als »geradezu grotesk« beurteilt Dieckhöfer wiederum, dass Leipziger behauptet, bei Mollath sei »eine vermehrte Beschäftigung mit seinen paranoiden Gedanken« festzustellen. Man will gar nicht wissen, wie das Urteil Dieckhöfers ausgefallen wäre, hätte er von den Details des HVB-Berichtes gewusst.
Endlich spießt Dieckhöfer noch die Formulierung Leipzigers auf, der zufolge eine »Progredienz«, also ein Fortschreiten, der paranoiden Symptomatik bei Mollath zu befürchten sei. Das allerdings, räumt Psychiatrie-Professor Dieckhöfer sarkastisch ein, sei mehr als fünf Jahre nach der Einweisung Mollaths in der Tat nicht ganz auszuschließen. Denn richtig sei, dass Mollath »am Rechtsstaat längst verzweifelt« sei. Und dass er nicht einzusehen vermöge, dass die Gerichtsbarkeit die »vernünftige Wahrnehmung realer Gegebenheiten« nicht zur Kenntnis nehmen wolle.
Am Ende bleibt aus Dieckhöfers Sicht: ein »Wortgeplänkel«, das versucht, »sich einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben«.
Dieckhöfer sendet sein Gutachten über das Leipziger-Gutachten an Justizministerin Merk. Und auch an die beiden Fraktionsvorsitzenden der Regierungskoalition in Bayern, an Georg Schmid (CSU) und Thomas Hacker (FDP). Die Folgen sind 2012 sehr übersichtlich. Man könnte auch sagen: Der klar und unmissverständlich formulierte Einwurf eines Psychiatrie-Professors verhallt in der bayerischen Politik ungehört. Ebenso wie die Bitte, die Ministerin möge durch steuerndes Handeln »weiteren Schaden« für die »psychiatrische Profession« verhindern. Es passiert nichts.
Wobei auch Dieckhöfer anhand der Akten natürlich nicht übersieht, was man in der Tat nicht übersehen konnte: dass es sich bei Mollath um einen besonderen Mann handelt, einen, der ohne Frage auffälliges, möglicherweise auch normabweichendes Verhalten an den Tag legt. Es sei nicht zu verkennen, dass Mollath über einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn verfüge und insofern die Aktivitäten seiner damaligen Ehefrau ihm im Laufe der Zeit »geradezu beängstigend über den Kopf« gewachsen seien.
Von der Diagnose einer Wahnerkrankung ist die Tatsache, dass einem etwas möglicherweise über den Kopf gewachsen ist, aber eben verstörend weit entfernt.
Bezirkskrankenhaus Straubing, Freitag, 21. September 2007
Erstmals, sein Fall läuft mittlerweile seit vier Jahren, und seit mehr als einem Jahr sitzt Gustl Mollath dauerhaft in der geschlossenen Psychiatrie, wird er von einem Psychiater nicht nur beobachtet, sondern auch persönlich untersucht. Von Hans Simmerl, dem Leitenden Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie am Bezirksklinikum in Deggendorf-Mainkofen. Für das Vormundschaftsgericht Straubing soll er aus psychiatrischer Sicht die Frage beantworten, ob Mollath unter Betreuung gestellt werden muss.
Wie bereits ausführlich beschrieben, hält Simmerl Mollath nicht für einen Fall für die hermetisch abgeschirmte Straubinger Klinik, in der nur die schwersten Fälle unter den schuldunfähigen Straftätern einsitzen. Simmerl kommt insgesamt zu einem relativ positiven Urteil über den Patienten Mollath. Es ist zwar kein kriminalprognostisches Gutachten, das er am 26. September 2007 dem Gericht vorlegt, wohl aber ein nervenärztliches Gutachten. Außerdem verfügt der Facharzt über große Erfahrung in solchen Fällen. Auch sein Gutachten veranlasst wohl die für die Unterbringung Mollaths zuständige Straubinger Strafvollstreckungskammer am Landgericht Regensburg, eine weitere Untersuchung in Auftrag zu geben, diesmal ein forensisches Gutachten.
Allerdings lassen sich die Juristen damit sehr viel Zeit. Der Auftrag an den Berliner Gutachter Hans-Ludwig Kröber durch das Gericht ergeht am 17. April 2008. Seit Simmerls für Mollath positivem Gutachten sind fast sieben Monate vergangen, in denen er weiter in der geschlossenen Psychiatrie saß.
Berlin, Freitag, 27. Juni 2008: Das Gutachten von Hans-Ludwig Kröber – ein Urteil aus der Ferne
Hans-Ludwig Kröber ist ein vielbeschäftigter Mann, nicht nur als Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie an der Berliner Charité. Sondern auch als Buchautor, Talkshowgast und Liebling vieler Gerichtsreporter. Verständlich, denn in Kröber finden Journalisten einen, der über sein Fach und über große Fälle der Rechtsgeschichte plastisch redet und der formulieren kann wie nur wenige in seiner Zunft. Übrigens formuliert er auch spitz wie kaum ein anderer, weshalb Kröber in der
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