Die Akte Daniel (German Edition)
üppiges Essen ohne Zuteilung ließen ihren Verstand auf Durchzug schalten und sich auf das Wesentliche konzentrieren. Sie griff wahllos zu; schließlich hatte sie Hunger und konnte wohl mühelos das ganze Büffet allein leeren. Aber dann folgte sie mit ihrem Tablett Sunday, der gerade eine riesige Kanne zu einem Tisch balancierte.
Dort saßen im Gegensatz zu den anderen Tischen Erwachsene, die sie milde neugierig musterten. Auch sie grüßten Sunday freundlich zurück und nickte dem Mädchen zu.
»Unsere neue Schülerin«, erklärte Sunday und schenkte Kakao ein. »Sie heißt Berenice. Wir müssen noch überlegen, in welche Klasse sie kommt. Wann bist du eigentlich das letzte Mal zur Schule gegangen, Berenice?«
»Das ist lange her«, antwortete sie. »Ich habe es vergessen. Es war, glaube ich, auf einer Schule nur für Mädchen. Ich kann mich am besten noch an meine Eltern erinnern. Ihre Gesichter. Ihre Stimmen weiß ich noch.« Sie brach ab. Ihren dreizehnten Geburtstag hatte sie noch Zuhause gefeiert, aber wie viel Zeit inzwischen vergangen war, konnte sie beim besten Willen nicht sagen. Es gab so viel nachzuholen ...
Sunday nickte. »Dann geh einfach quer in alle Stunden und wo du mitkommst, bleibst du. Ist vermutlich das Einfachste. Und deine Eltern, darüber müssen wir später sprechen, okay?«
Berenice nickte. Sie hatte sich so etwas schon gedacht und außerdem hatten Doktor Fearman und Doktor Terranto genug gesagt. Und darüber hinaus war sie nicht mehr klein. Der Ordo war der beste Ort für sie. Ihre Eltern würden warten müssen. Dennoch taten der Blick und die tröstenden Gesten gut.
»Wir können nach diesem Experiment auch einen Einstufungstest vornehmen. Dann wissen wir ganz genau, welchen Wissensstand du hast. Bis dahin ist vielleicht das eine oder andere Verschüttete wieder aufgetaucht«, schlug eine Frau vor, die frappierende Ähnlichkeit mit Doktor Terranto hatte. Sie hatte ein ganz ähnlich freundliches Gesicht, war jedoch rundlicher und älter.
»Ich richte mich da ganz nach Ihnen«, meinte Berenice noch immer etwas verschüchtert, obwohl die Frau freundlich lächelte.
Sunday meinte zwischen zwei Bissen: »Aber in meinen Kreativkurs kommt sie in jedem Fall. Oh, verflixt!« Er hustete, verschluckte sich, als er mit einem Blick auf seine Uhr entsetzt feststellen musste, dass er spät dran war.
»Jesusallahbuddha, die Kiddies aus der A warten schon auf mich! Bis später, Berenice!« Ohne auf Abschiedsworte zu warten, flitzte er los und ließ sogar dabei seinen noch fast vollen Teller zurück.
Berenice sah ihm verblüfft nach. »Er ist wirklich Lehrer?«, fragte sie.
Die anderen nickten. »Ist er, auch wenn er nicht so aussehen mag. Hast du übrigens schon ein Quartier, Liebes?«, wollte die freundlich aussehende Frau wissen.
Berenice schüttelte den Kopf. »Ich bin gestern Nacht angekommen. Wir hatten uns verwandelt und dann bin ich erst wieder im Wald erwacht. Ich war wohl abgelenkt.«
»Dann werden wir uns als Erstes darum kümmern. Ich bin übrigens Diana Terranto, zuständig für die Telepathen hier. Iss in Ruhe auf, dann suchen wir dir ein Zimmer.«
»Mrs. Terranto?« Berenice sah sie erstaunt an. »Sind Sie mit der Frau Doktor Terranto verwandt?«
»Du hast sie getroffen? Ja, sie ist meine jüngere Schwester.« Mrs. Terranto lachte, wobei sie einen ernsten Ton nicht ganz verbergen konnte. »Unsere halbe Familie arbeitet für den Ordo .«
»Sind Sie auch ein Nachtling?«
»Nein, ich bin Telepathin. Wir alle hier sind mit recht unterschiedlichen Begabungen gesegnet und können uns so am besten um die Schüler kümmern«, erklärte Mrs. Terranto. »Du wirst dich bestimmt schnell eingewöhnen.«
Berenice nickte. »Darf ich jemals wieder von hier weggehen, wenn ich das will?«, fragte sie leise.
»Natürlich. Dich wird niemand aufhalten, wenn du gehen willst. Aber es wäre vielleicht nicht jetzt sonderlich klug, da die Firma zweifelsohne nach dir suchen wird«, gab Mrs. Terranto zu bedenken.
»Ich meine ja auch nicht jetzt. Aber vielleicht später. Ich will meine Familie wieder sehen. Ich will nach Hause«, erklärte Berenice mit einer Hoffnung in der Stimme, die jeden am Tisch im Herzen schmerzte, da diese Hoffnung viel zu oft auch in den späteren Jahren sterben musste. Die Firma vergaß nur sehr selten.
»Das wird kein Problem sein«, versicherte Mrs. Terranto dennoch, weil es noch zu früh für harte Tatsachen war, da sich Berenice gerade erst ein Stück sicher zu fühlen
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