Die Akte Daniel (German Edition)
schuldbewusst an, als wäre es ihr persönliches Versagen, dass sie ihn nicht hatte aufhalten können.
Daniel strich ihr über den Kopf. »Wer ist der Älteste hier?«, fragte er. Dass Sunday nicht hier war, war alles andere als beruhigend. Aber erst einmal musste er tun, was Mrs. Terranto gesagt hatte und vielleicht war Sunday ja schon in der Aula, um zu sehen, ob er helfen konnte, während er die Kinder hier ja in Sicherheit wusste. Das war vielleicht nicht sonderlich klug, würde aber zu ihm passen. Sie waren sich in dieser Hinsicht mitunter ziemlich ähnlich.
Ein vielleicht zehnjähriger Junge kam aus dem Bunker gekrabbelt. Er war sehr blass, wirkte aber gefasster als die anderen.
»Ich. Ich konnte Sunday auch nicht aufhalten, ich hatte alle Hände voll mit meinem Bruder zu tun«, erklärte er und biss sich auf die Lippe. »Ich glaube, er ist rausgegangen, als keine Schüsse mehr im Wald zu hören waren. Ist noch nicht lange her. Er hat aber gesagt, wir sollen warten, bis man uns abholt, nicht früher.«
»Das ist gut!« Daniel nickte. »Kommt jetzt alle raus! Ich muss noch die anderen Kinder suchen. Ihr müsst jetzt zurück zum Haus laufen. Mrs. Terranto will alle Kinder in der Aula haben. Ich denke, sie wird euch zählen und erleichtert sein, dass ihr da seid. Kannst du die anderen zurückführen?«
Der Junge nickte und nahm seinen kleinen Bruder auf den Arm, der leise weinte.
Daniel sah den Kindern kurz nach, wie sie vom Bunker aus Richtung Haus gingen, dann lief er tiefer in den Wald hinein, um seinen Freund zu suchen. Warum war Sunday auf die Idee gekommen, alleine loszumarschieren?
Daniel machte sich Sorgen. Aber er musste die Kinder finden, die sich im Wald versteckt hatten. Er spürte ein paar, die keine Nachtlinge waren, und die er direkt in seinen Gedanken erreichen konnte. Ihnen sagte er, dass die Luft rein war und sie sich wieder zur Schule wagen durften.
Die Nachtlinge sprach er an, sobald er sie aufgestöbert hatte. Sie rufen wollte er nicht. Sie hatten die Anweisung, auf so etwas nicht zu reagieren. Schließlich konnte der Rufer gezwungen worden sein.
Besser war es, wenn man ihn direkt sah und ihn ausfragen konnte, um zu sehen, ob er noch frei war.
Aber keiner der Nachtlinge unterwarf ihn trotz dieser Anweisung eines Verhörs. Sie konnten schlicht sehen und fühlen, dass niemand Daniel zwang.
Je weiter er lief, umso weniger verstreute Kinder fand er. Schließlich schien es, als wäre niemand mehr in der unmittelbaren Umgebung. Glücklicherweise, denn Daniel konnte schon den Zaun sehen, der das Gelände der Schule umgab.
Weiter rechts schien die Straße zu verlaufen, die ein ganzes Stück weiter hinauf zur Toreinfahrt führte; Daniel stutzte, als er Autos, schwarze Kleintransporter, direkt neben dem Zaun wegfahren sah, durch das jemand einen Durchgang gebrannt hatte.
Hier fuhr normalerweise niemand vorbei. Die Straße war ein Privatweg, der nur von Angehörigen der Schule genutzt wurde. Gärtner fuhren hier und die Lehrer, wenn sie zum vorderen Parkplatz wollten. Wenn sich hier jemand befand, war es ungewöhnlich. Bevor also jemand dieses Loch im Zaun überhaupt sah, wären Tage vergangen. Soweit Daniel ahnte, steckten die Schule und alle Menschen damit in noch größeren Schwierigkeiten.
Daniel schlich sich näher. Jetzt war nur noch ein Auto dort und er hatte den Verdacht, dass es vor gar nicht allzu langer Zeit sehr viel mehr gewesen waren, als er eben noch gesehen hatte. Eine Frau stand davor. Und Sunday!
Daniel verbarg sorgfältig seine Anwesenheit und seine Gedanken. Er versuchte so nahe wie möglich zu kommen, ohne dass ihn jemand bemerkte.
»Es wäre der Wunsch deiner Mutter gewesen, mit mir zu kommen«, sagte die Frau. Sie trug einen dunklen Mantel. Die akkurat hochgesteckten, roten Haare und die Brille gaben ihr ein strenges Aussehen, obwohl sie noch recht jung schien.
Daniel sah, wie Sunday den Kopf schüttelte. »Ich weiß. Und gerade deswegen tue ich es nicht. Ihr wisst schon genug, auch ohne mich. Und an eurer Stelle würde ich die Kinder wieder freilassen, die ihr erwischt habt.« Er klang so kalt und erwachsen, wie Daniel ihn noch nie erlebt hatte.
»Ich will dich nicht zwingen«, entgegnete die Frau ihm. »Eines Tages wirst du mit mir kommen müssen und dann bist du ein Gefangener. Lass es nicht soweit kommen, Alexander. Wir bekommen euch letztlich alle. Der Ordo wird zerstört werden und dann gehört ihr der Foundation . Du kannst bestimmen, was du bei uns sein
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