Die Akte Daniel (German Edition)
erinnern, ob er damals Angst gehabt hatte, so hatte er heute um so mehr Angst, wenn er aus einem Albtraum erwachte. Sunday hatte es nur einmal mitbekommen, weil er früher als sonst zurückgekehrt war. Aber es kam immer wieder einmal vor, dass die Vergangenheit präsent war, wenn er am wenigsten glaubte, dass sie ihn berühren konnte.
»Das ist auch vorerst noch das Beste, aber dein ganzes Leben so zu verbringen, ist nicht nötig«, erklärte Stella, »Im Gegenteil, du könntest anderen helfen, die noch nicht gelernt haben, sich selbst zu schützen.«
Sunday war Daniel bei Stellas Worten einen ›Ich hab’s dir ja gesagt‹-Blick zu.
»Na ja, also ich würde das schon gern machen. Wenn das geht, heißt das. Und wenn ich gut genug bin!« Daniel freute sich nun ganz offen, auch wenn er so recht nicht daran zu glauben schien.
»Wenn du weiterhin so diszipliniert trainierst, steht dem nichts im Wege«, meinte Stella zuversichtlich, »natürlich gehört zur Ausbildung noch weitaus mehr, aber im kommenden Schuljahr wird es spezielle Kurse für diejenigen geben, die sich entschieden haben, weiter für den Ordo zu arbeiten.«
Daniels Körper spannte sich. Auf einmal taten sich ihm Möglichkeiten auf, die er noch nie für sich gesehen hatte. Er wusste, dass er gut war. Aber dass er so gut war, das wusste er nicht und würde es auch nicht glauben, hätte Stella ihn nicht jetzt darauf angesprochen. »Ich werde die Kurse besuchen!«, rief er voller Enthusiasmus.
Stella lächelte und griff sich noch ein Brötchen, dann sah sie zu Sunday. »Und du? Hast du schon Pläne?«
Dieser zuckte mit den Schultern. »Nicht wirklich. Und mal im Ernst, was sollte ich machen?«
»Nun, wie wäre es mit Lehrer?«, fragte sie.
Sundays Augenbrauen wanderten in die Höhe. »Das ist nicht dein Ernst. Gerade erst habe ich dank Daniel merken müssen, dass Verrücktheit ansteckend ist, und dann willst du mich auf Kids loslassen?«
»Klar, warum denn nicht? Du hast mehr Verantwortung und Ernst im Leib, als du vielleicht selbst glaubst. Wir beobachten euch ziemlich genau, Sunday. Und wir sind darin ziemlich gut.«
»Dann seid ihr auch gaga. Ich meine ...«, Sunday kaute an seiner Unterlippe, »ich bin gern mit Kindern zusammen, und ihnen was beibringen zu können, ist eine tolle Sache. Aber ... ne, das ist zu verrückt. Und ich bin ja selber noch ein Kind.«
Stella lachte. Sie schnappte sich das Nutellaglas und tat sich eine dicke Schicht auf ihr Brötchen. Sie grinste Sunday eindeutig amüsiert an. »Natürlich sind wir verrückt. Hey, wir glauben daran, dass es Menschen gibt, die sich in Tiere verwandeln können. Was glaubst du denn?«
»Da gibt es nichts zu glauben, es ist so. Ist ja nicht so, als ob wir Nachtlinge Osterhasen wären.« Sunday seufzte theatralisch. »Ich bin hier im Irrenhaus, ich hab’s immer geahnt. Was sagt mein Paps dazu?«
»Dass du später einmal ein guter Lehrer in diesem Irrenhaus werden könntest«, meinte Stella trocken.
Daniel kicherte und versuchte trotzdem einigermaßen ernsthaft auszusehen.
»Na ja, ich habe ja auch noch bis zum nächsten Schuljahr Zeit, um mir spezielle Kurse auszusuchen. Wenn ihr dann immer noch meint, dass ich das wirklich könnte ...« Er rührte in seinem Kakao herum. »Oh, und Stella, ich wollte dich noch was fragen«, wechselte er das Thema. »Wann haben die anderen wieder Ausgang? Oder kommst du demnächst in die Stadt?«
Daniel hustete abrupt und wurde rot.
»Ausgang, das könnt ihr vergessen«, meinte Stella und warf Daniel kurz einen interessierten Blick zu. »Wir überlegen, ob und wie wir die Schule evakuieren. Ihr könnt wahrscheinlich nicht mehr hier bleiben. Aber warum fragst du?«
»Ich hätte da gerne ein paar Besorgungen in Auftrag gegeben«, fuhr Sunday ungerührt fort, obwohl ihn die Vorstellung einer möglichen Evakuierung sichtlich erschreckt hatte. »Und da ich ja sowieso nicht raus darf ...«
»Ach, und was soll ich dir besorgen, was nicht warten kann?«
»WaszumThemaSexzwischenMännern,weilwirnichtweiter-wissen«, haspelte Sunday hinunter, dem diese direkte Frage jetzt auch etwas peinlich war, selbst wenn diese Einsicht nun reichlich spät kam. »Wärst du so nett?«, fügte er hoffnungsvoll hinzu.
»Hä?«, Stella schüttelte den Kopf. »Noch mal für Langsamhörer. Was willst du?«
Sunday wiederholte sich etwas langsamer und bekam nun auch eine etwas dunklere Gesichtsfarbe.
Stella sah von Sunday zu Daniel und dann wieder zurück. »Aha«, murmelte sie.
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