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Die Akte Golgatha

Die Akte Golgatha

Titel: Die Akte Golgatha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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der Hausglocke unerwarteten Besuch meldete. Francesca öffnete, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt. »Ja bitte?«, sagte sie.
    Die gut gekleidete Frau vor der Tür schien erstaunt, mehr noch, sie machte einen verwirrten Eindruck, als sie sagte: »Wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«
    Erst jetzt wurde Francesca klar, in welche Situation sie Gregor gebracht hatte, und ihre anfängliche Unbefangenheit wich augenblicklich einer sichtbaren Nervosität. »Ich bin Francesca Colella«, sagte sie und knöpfte den obersten Knopf ihrer Lederjacke zu. »Und Sie?«
    »Felicia Schlesinger«, erwiderte Felicia eingeschnappt. »Wenn ich gewusst hätte, dass Sie hier sind, wäre ich natürlich nicht gekommen. Wo ist Gregor?«
    »Ich glaube, er schläft noch«, antwortete Francesca und wurde sich im selben Moment bewusst, dass diese Bemerkung alles noch schlimmer machte. »Ich meine – es ist nicht so, wie Sie denken. Gregor wird Ihnen alles erklären. Aber wollen Sie nicht hereinkommen?«
    »Nein, nein, nicht nötig. Vielleicht ein andermal!«
    Felicia machte Anstalten zu gehen, als hinter Francesca Gropius im Morgenmantel auftauchte. Francesca warf ihm einen Hilfe suchenden Blick zu, als wollte sie sagen: Tut mir Leid.
    »Du, Felicia?«, sagte Gropius, weil ihm nichts Besseres einfiel. Augenblicklich überlegte er, welche Folgen dieses unerwartete Zusammentreffen haben würde.
    »Wie ich sehe, hast du mich nicht erwartet!«, bemerkte Felicia mit süffisantem Lächeln.
    »Nein«, antwortete Gropius und räusperte sich verlegen, »aber komm doch rein! Eine neue Situation hat sich ergeben.«
    Nur zögernd kam Felicia der Aufforderung nach, und weil sie Gropius ertappt zu haben glaubte, meinte sie, während sie eintrat: »Du bist mir doch keine Rechenschaft schuldig, Gregor.« Doch klangen ihre Worte so, als meinte sie gerade das Gegenteil.
    Während Gropius Felicia ins Haus geleitete, hörte er Francesca an der Tür rufen: »Ich glaube, ich gehe dann lieber. Du erreichst mich in meinem Hotel!«
    Gropius wollte sie zurückhalten, aber als er zur Tür kam, war Francesca bereits verschwunden.
    »Also, welche neue Situation hat sich ergeben?«, erkundigte sich Felicia spitz.
    Und Gropius berichtete von Rodriguez und dem seltsamen Zusammentreffen mit Francesca und dass er mehr und mehr zu der Auffassung gelange, dass sich hinter den Wirrnissen um Schlesingers Tod noch etwas anderes verberge als das menschenverachtende Treiben der Organmafia. Dass Schlesinger möglicherweise doch nicht unter Fichtes Mitwirkung getötet worden sei. Dass sein Tod einen ganz anderen Hintergrund gehabt haben könnte.
    »Und – wie war sie?«, fragte Felicia, nachdem sie ihm unbewegt zugehört hatte. Die Begegnung mit Francesca schien sie mehr zu interessieren als der Mord an ihrem Mann. Seit sie von seinem Doppelleben und dem Verhältnis mit der jungen Israelin erfahren hatte, war sie bemüht, ihn aus ihrem Gedächtnis zu streichen.
    »Da war nichts!«, beteuerte Gropius. »Francescas Hotelzimmer ist in ihrer Abwesenheit durchsucht worden. Sie hatte Angst.«
    »Und in ihrer Angst kam sie zu dir und fragte, ob sie mit dir schlafen kann!«
    »Bei mir, Felicia, bei mir. Das ist ein großer Unterschied!«
    »Ph!« Felicia blies die Luft durch die Lippen, als wollte sie sagen: Wer's glaubt! Schließlich bemerkte sie mit unüberhörbarer Abfälligkeit: »Wäre ich nicht zufällig hier aufgetaucht, hätte ich nie von dieser Geschichte erfahren. Ach was, ihr Kerle seid doch alle gleich!« Sie erhob sich, und schon im Gehen meinte sie: »Ich hatte gehofft, du wärst anders; aber das war wohl ein Irrtum. Schade. Danke, ich finde allein hinaus.«
    Als die Tür ins Schloss fiel, kam es Gropius vor, als erhielte er eine Ohrfeige. Verwirrt rieb er sich die Backe. Felicia war eine stolze Frau, eine Eigenschaft, die er bei Frauen eigentlich schätzte; aber verletzter Stolz ist ein gefährliches Gift. Die meisten Beziehungen scheitern an verletztem Stolz.
    In seinem Kopf drängten sich episodenhaft die schönen Stunden, die sie miteinander verbracht hatten. Doch nun machten sich widersprüchliche Gefühle breit. War Felicia auch nur Durchreise? Oder war das nur eine Krise, wie sie in jeder Beziehung einmal eintritt? Jedenfalls fühlte er sich von Felicia ungerecht behandelt, und wenn er etwas nicht ausstehen konnte, dann war es Ungerechtigkeit. In einem Anflug von Zynismus kicherte Gropius in sich hinein, weil er an das alte Sprichwort denken musste:

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