Die Akte Golgatha
Schlesingers hier auftauchte.
Kusch nahm eine Flasche aus einem Wandschrank, kippte Cognac in ein bauchiges Glas und reichte es Gropius. »Es geht mich ja nichts an«, meinte er, während Gregor das Glas in einem Zug leerte, »aber Sie sehen gar nicht gut aus. Wollen Sie mir nicht sagen, was es mit dieser Dame für eine Bewandtnis hat?« Dabei tippte er auf den Bildschirm.
Gropius zog den Zettel aus der Tasche, auf dem er kurz zuvor die Adresse von Rodriguez notiert hatte. Mit zusammengekniffenen Augen schrieb er Sheba Yadins Anschrift auf das Blatt. »Nehmen Sie es mir bitte nicht übel«, bemerkte er, ohne dabei aufzusehen, »aber das wäre eine zu lange Geschichte, und vermutlich hielten Sie mich dann für verrückt.«
»Noch einen?« Kusch hielt Gropius die Flasche hin, und dieser nickte; dann starrte er wieder stumm vor sich hin auf einen imaginären Punkt an der gegenüberliegenden Wand. Kusch hätte gern weitergefragt, aber er wollte nicht neugierig erscheinen. Seit dem Skandal am Klinikum war Gropius ohnehin schon angeschlagen genug und ließ sich kaum noch auf dem Golfplatz sehen.
So vergingen Minuten, bis Kusch unbewusst mit den Fingerkuppen auf dem Schreibtisch zu trommeln begann.
»Entschuldigen Sie, Bob«, meinte Gropius, der die Geste als ein Signal verstand, »entschuldigen Sie, aber könnte ich mir vielleicht das Zimmer 231 einmal ansehen?«
Kusch warf einen Blick auf die Uhr. »Ich glaube nicht, dass das Zimmer schon in Ordnung gebracht ist.«
»Macht gar nichts!«, erwiderte Gropius. »Im Gegenteil.«
»Okay, dann kommen Sie, Gregor.«
Die Lage von Zimmer 231 war wirklich nicht die beste, und als sie ankamen, herrschte großes Durcheinander. Das Zimmermädchen, eine dunkelhaarige Portugiesin, war gerade damit beschäftigt, das Bett zu beziehen. Carlo, der Hauselektriker, machte sich am Telefon zu schaffen.
Kusch warf dem pfiffigen Elektriker einen fragenden Blick zu, und der erklärte, der Etagenmanager habe ihn angerufen, das Telefon sei defekt.
»Austauschen!«, knurrte Bob Kusch unwillig.
Aber Carlo machte eine abweisende Handbewegung: »Nicht nötig, Chef. Der Schaden ist bereits repariert. Ein abgerissenes Drähtchen im Hörer. Also wenn Sie mich fragen …«
»Ich frage Sie aber nicht!«, fuhr der Hotelmanager Carlo über den Mund.
Gropius fasste Kusch am Arm, als wollte er ihn zurückhalten. An den Elektriker gewandt, fragte er: »Was wollten Sie sagen?«
Carlo warf Gropius einen misstrauischen Blick zu, dann musterte er Kusch, als wollte er fragen: Ist's erlaubt?, und als er keinen Widerspruch erntete, sagte er: »Wenn Sie mich fragen, dann war in dem Telefonhörer eine Wanze installiert. Ich weiß, wie man so was macht. Und beim Entfernen des Minispions hat der Betreffende den Draht beschädigt. Anders kann ich mir den Schaden jedenfalls nicht erklären. Jetzt ist alles sauber, Chef.«
Bob Kusch versuchte die Angelegenheit herunterzuspielen und meinte an Carlo gewandt: »Aber das ist doch nur eine Vermutung! Ich möchte Sie sehr bitten, etwas vorsichtiger zu sein mit solchen Verdächtigungen. Wir sind ein Luxushotel, bei uns kommt so etwas nicht vor. Danke, Sie können jetzt gehen.«
Der Hotelelektriker murmelte etwas Unverständliches, das sich anhörte wie: Gerade deshalb!, nahm seinen Werkzeugkoffer und verschwand.
Von wirren Gedanken hin- und hergerissen lehnte Gregor Gropius an der Zimmertür. Nur mühsam gelang es ihm, sich zu konzentrieren. Wie ein Computer, allerdings unendlich langsamer, spulte sein Gehirn alle Möglichkeiten ab, die sich aus der neuen Erkenntnis ergaben. Offenbar hatte sich Schlesinger eine Woche in München mit Sheba getroffen, und dabei standen beide unter Beobachtung. Ihre Gespräche mussten für gewisse Leute so wichtig gewesen sein, dass sie in Shebas Hotelzimmer eine Wanze installierten. Keine Frage, Rodriguez gehörte zu dieser Gang. Warum die Abhörelektronik über Monate in dem Hotelzimmer installiert blieb oder warum sie gerade jetzt von Rodriguez demontiert wurde, dafür fand Gropius keine Erklärung.
»Das mit der Wanze sollten Sie nicht unbedingt ernst nehmen!«, holte ihn Kusch in die Wirklichkeit zurück. »Carlo ist ein Tüftler und hat von früh bis abend elektronische Spielereien im Kopf. Im Vertrauen gesagt: Sein Verdacht mit der Abhöranlage ist noch harmlos. Seit wir vor zwei Jahren einen Weltwirtschaftsgipfel im Haus hatten und amerikanische CIA- und NSA-Agenten das Haus auf den Kopf stellten, sieht Carlo in jedem
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