Die Akte Golgatha
sehen so deutsch aus.«
Zu seiner Verblüffung bemerkte Gropius, dass die Frau Deutsch sprach.
»Ja«, erwiderte Gropius und fügte die Frage an: »Sie sprechen deutsch?«
»Mein Vater war Deutscher«, erwiderte die Frau bitter. »Aber wir sollten nicht darüber reden. Sind Sie ein Freund von Schlesinger?«
Gropius erschrak. Wie sollte er reagieren? »Sie wissen, dass Schlesinger tot ist?«
»Ich weiß«, antwortete die Frau, »wollen Sie nicht hereinkommen?«
»Sind Sie …?«, fragte Gropius, während er in einem kahlen, spärlich möblierten Raum mit Steinfußboden Platz nahm.
»… Shebas Mutter«, antwortete die Frau und nickte. »Was wollen Sie von Sheba, Herr …?«
»Gropius! Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, dass Ihre Tochter mit Schlesinger ein, nun ja, ein Verhältnis hatte.«
»Ich war immer gegen diese Verbindung!«, beteuerte Frau Yadin aufgeregt. »Aber das Mädel lässt sich ja von seiner Mutter nichts sagen. Seit Shebas Vater tot ist, tut sie, was sie will. Nun hat sich die Sache ja wohl erledigt.«
»Sheba lebt doch hier bei Ihnen?«, erkundigte sich Gropius.
»Sie kommt nur noch selten nach Hause. Seit sie von Schlesingers Tod erfahren hat, ist sie völlig durcheinander. Sie hat sich anfangs sogar mit dem Gedanken getragen, ihren Beruf hinzuschmeißen, weil sie tagtäglich an diesen Schlesinger erinnert wird.«
»Ihre Tochter ist Archäologin?«
»Angeblich sogar eine sehr gute. Bis sie Schlesinger traf. Seit der Zeit hatte sie nur noch diesen Mann im Kopf. Wenn Sie mich fragen, Herr Gropius, mir tut es nicht besonders Leid, dass Schlesinger tot ist.«
»Kannten Sie Schlesinger?«
»Nein, ich habe ihn nie gesehen, obwohl er angeblich Sheba heiraten wollte.«
»Schlesinger war verheiratet!«
»Das ist mir bekannt; aber angeblich wollte er sich scheiden lassen. Sheba hat das behauptet.«
»Und wo hält sich Sheba zur Zeit auf?«
»Irgendwo in der Wüste bei Beersheba, über hundert Kilometer südlich von hier, ein scheußlicher Ort am Rande des Negev; aber eine Stadt mit großer Geschichte. Sie gräbt dort mit einem französischen Archäologen, Contreau oder so ähnlich.«
»Vielleicht Contenau, Pierre Contenau?«
»Ja, ich glaube, so heißt er. Sie kennen ihn?«
»Ich habe von ihm gehört. Angeblich hat er eine dreitausend Jahre alte Stadt der Israeliten entdeckt.«
»Ich weiß nicht, wozu das gut sein soll, aber Sheba macht es nun einmal Spaß, im Dreck rumzubuddeln. Na, mir soll's recht sein, solange sie dafür auch noch bezahlt wird. Was machen Sie eigentlich, Herr Gropius?«
Im Bemühen, seine Bedeutung herunterzuspielen, erwiderte er: »Ich kümmere mich um die Gesundheit der Leute.«
»Ah, ein Doktor sind Sie? Mit einer richtigen Praxis?«
»Ja«, bemerkte Gropius verlegen.
»Und warum fragen Sie nach Sheba, Doktor Gropius? Sie wird doch nicht krank sein?«
»Aber nein!«, versuchte Gregor die temperamentvolle Frau zu beruhigen. »Es ist nur so: Ich bin ein Freund der Familie, und Schlesinger hat durch seinen Tod ein paar Fragen hinterlassen, die nur Ihre Tochter beantworten kann. Das braucht Sie in keiner Weise zu beunruhigen.«
Frau Yadin blickte skeptisch. Vermutlich, dachte Gropius, bist du ein schlechter Schauspieler oder ein schlechter Lügner oder – was noch schlimmer wäre – beides zusammen. Die Sache war ihm peinlich.
In das Schweigen hinein stellte die Frau plötzlich die Frage: »Und deshalb sind Sie von Deutschland nach Israel geflogen?«
Gropius hob die Schultern.
Neugierig meinte Frau Yadin: »Worum geht es? Vielleicht kann ich Ihnen weiterhelfen, Doktor Gropius?«
»Nein, das glaube ich nicht!«, beteuerte Gregor. »Es handelt sich um ein paar fachliche Probleme, über die Schlesinger vermutlich mit Sheba gesprochen hat.«
»Sie denken an die Ausgrabungen bei Jerusalem?«
»Ja, daran denke ich.«
Da verfinsterte sich das offene Gesicht der Frau von einem Augenblick auf den anderen, und sie sagte: »Ja, da kann ich Ihnen wirklich nicht weiterhelfen. Tut mir Leid, und jetzt entschuldigen Sie mich.« Sie erhob sich und machte Anstalten, Gropius zur Tür zu geleiten.
»Man sagt, es sei kein Unfall gewesen, den Schlesinger erlitten hat, sondern ein Bombenanschlag«, bemerkte Gropius, schon im Gehen.
»Die Leute reden viel«, erwiderte Frau Yadin, »Sie wissen doch, wir Juden sind große Geschichtenerzähler. Ich weiß davon jedenfalls nichts.«
Gropius zeigte auf ein Foto, das eingerahmt in einen Silberrahmen auf einer halbhohen
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