Die Akte Golgatha
um ihn loszuwerden, antwortete er: »Mr. Contenau hat mir strikt verboten, irgendetwas über Miss Yadin verlauten zu lassen, egal, wer sich nach ihr erkundigt. Sie verstehen, Mr. Gropius.«
»Contenau?« Gropius wurde laut. »Dieser Contenau tut so, als wäre er Shebas Erziehungsberechtigter!«
»Nicht Erziehungsberechtigter!«
»Sondern?« Er sah Yussuf ins Gesicht. »Ach, jetzt begreife ich. Contenau hat Schlesingers Stelle eingenommen. Habe ich Recht?«
Der alte Mann nickte beinahe verschämt.
»Die beiden leben zusammen?«
»Ja, Mr. Gropius.«
»Und was ist der Grund für dieses Versteckspiel?«
Yussuf wand sich. »Ich habe Ihnen schon zu viel verraten, Mr. Gropius!«
»So reden Sie endlich!«, rief Gregor ungeduldig.
»Nun ja, nachdem Mr. Schlesinger Israel verlassen hatte, versuchten verschiedene Leute mit Miss Yadin in Kontakt zu treten. Offensichtlich wollten sie von ihr gewisse Informationen über Mr. Schlesingers Vorgehen. Als gar Mr. Schlesingers Tod bekannt wurde, wurde Miss Yadin regelrecht verfolgt, und sie bekam es mit der Angst zu tun. Mr. Contenau beauftragte mich damals, Miss Yadin vor unliebsamen Leuten abzuschirmen. Nicht gerade eine ehrenvolle Aufgabe für einen Ausgräber, der die Gebeine des Jesus von Nazareth entdeckt hat. Finden Sie nicht auch, Mr. Gropius?«
»Wo ist Sheba?«, wiederholte Gregor seine Frage.
»Sie ist hier in Jerusalem, zusammen mit Mr. Contenau. Mr. Contenau hat eine Wohnung in der Mea Shearim. Soviel ich weiß, will Miss Yadin morgen nach Europa fliegen.«
»Wissen Sie wohin, Yussuf?«
»Ich glaube nach Italien, ja, nach Turin!«
Gropius riss den Wagenschlag auf. »Danke, Yussuf!«, rief er noch, »Sie haben mir sehr geholfen!« Und mit eiligen Schritten strebte er dem Hoteleingang zu.
Noch am selben Nachmittag buchte Gregor Gropius einen Flug von Tel Aviv nach Rom und weiter nach Turin. Francesca versetzte er in große Aufregung, als er sie von seinem Hotel in Jerusalem anrief und bat, sie möge ihn am folgenden Tag gegen 14 Uhr vom Flughafen Caselle abholen. Es habe sich eine völlig neue Lage ergeben.
Gropius zählte nicht gerade zu den Frühaufstehern, er brauchte einige Zeit, um morgens warm zu laufen, doch an diesem Morgen war er bereits um sechs Uhr aufgestanden, hatte seine Sachen gepackt und den Room-Service für ein kleines Frühstück in Anspruch genommen, dann hatte er sich mit seinem Chrysler-Leihwagen auf den Weg zum Flughafen Ben Gurion gemacht. Viel früher als nötig erreichte er den Flughafen, gab den Leihwagen zurück und checkte ein. Nun wartete er gespannt auf Shebas Ankunft.
Sein Vorteil war es, dass Sheba ihn nicht kannte, während er zumindest ihr Bild bei Shebas Mutter in Tel Aviv gesehen hatte. Turin, Shebas Reiseziel, veranlasste Gropius zu den unterschiedlichsten Spekulationen. Er musste herausfinden, was das Mädchen in Turin wollte.
Im Schutz einer unübersichtlichen Ecke der Abflughalle schlürfte Gropius Kaffee aus einer Plastiktasse und ließ den Schalter nicht aus den Augen, über dem ein Schild den Flug EL AL, Tel Aviv–Rom 10 Uhr 30 ankündigte. Der Morgen war frühlingshaft sonnig und versprach einen angenehmen Flug über das Mittelmeer. Das beruhigte ihn.
Sollte Yussuf ihn absichtlich getäuscht haben? Der Gedanke kam bei Gropius auf, als Sheba zwei Stunden vor dem Start noch immer nicht eingetroffen war. Nervös ging er auf und ab, als buchstäblich in letzter Minute Pierre Contenau auftauchte.
Gropius musste zweimal hinsehen, denn die junge Frau in seiner Begleitung sah völlig anders aus als Sheba, die er von dem Foto her kannte. Sie hatte kurze blonde Haare und einen frechen Pagenschnitt, dazu trug sie einen eleganten Hosenanzug. Aus der Entfernung konnte Gropius schwer feststellen, ob es sich um Sheba handelte. Was wurde hier gespielt?
Über Lautsprecher meldete eine melodische weibliche Stimme den ersten Aufruf für den EL-AL-Flug nach Rom. Contenau verabschiedete sich von der jungen Frau mit zärtlichen Umarmungen, und Gropius nahm gerade noch wahr, dass er ihr einen bräunlichen Umschlag zusteckte, den sie unter ihrer Jacke verschwinden ließ. Die Frau begab sich zur Handgepäckkontrolle. Contenau verschwand eilig in Richtung Ausgang.
Gropius überlegte, wie er sich verhalten sollte. Hatte Yussuf ihn in die Irre führen wollen? Kurz entschlossen nahm er sein Flugticket aus der Tasche und ging zu dem Schalter, bei dem er kurz zuvor eingecheckt hatte.
»Verzeihen Sie«, redete er die dunkeläugige
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