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Die Akte Golgatha

Die Akte Golgatha

Titel: Die Akte Golgatha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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schrillen. Beim Bundesnachrichtendienst in Pullach beschäftigte sich ein Team aus vier Leuten mit der Entschlüsselung des Codes IND, hinter dem man den Absender der abgefangenen E-Mail vermutete. Dechiffrierer bedienten sich neuester Computerprogramme aus dem eigenen Haus, mit deren Hilfe in Sekundenschnelle Buchstabensysteme in Zahlensysteme verwandelt und durch Verschiebung der Zahlenreihen und Rückwandlung in das Alphabet neue Buchstabenkombinationen erstellt werden konnten.
    IND verwandelte sich beispielsweise mit dem Faktor +2 in das Kürzel KPF oder mit dem Faktor -3 in FKA. Und obwohl die Experten ihr System mit dem (unterschiedlichen) russischen wie amerikanischen Alphabet abglichen, stießen sie dabei in ihren Computern auf keine neue Buchstabenkombination, die einen Sinn ergeben oder gar den Absender beim Namen genannt hätte.
    Unter der Annahme, dass hinter den Anschlägen auf Arno Schlesinger und Professor Gropius derselbe Urheber steckte, erstellte im Landeskriminalamt an der Maillingerstraße ein so genannter Profiler eine operative Fallanalyse, kurz OFA genannt. Dem Fallanalytiker mit Namen Mewes, einem Kriminaloberrat mit der Erfahrung mindestens dreier Leben, sagten die Kollegen das zweite Gesicht nach, seit er zwei Jahre zuvor einen bestialischen Kindermörder, von dem drei Monate nach der Tat noch jede Spur fehlte, in seinem Verhalten so präzise beschrieben hatte, dass er wenige Tage später festgenommen werden konnte. Dabei konnte Mewes auf die Datenbank VICLAS zurückgreifen, in welcher Gewalt- und Serientäter erfasst sind. Im vorliegenden Fall erwies sich der Einsatz der Datenbank jedoch als Fehlanzeige. Vergleichbare Fälle dieser Art hatte es bisher nicht gegeben.
    Auch Wolf Ingrams Sonderkommission an der Bayerstraße fischte bisher noch im Trüben. Die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen war ein Leichtes im Vergleich zu der Fahndung nach dem ominösen Paketdienst und seinem Fahrer, von dem nur seine große, schlanke Statur und ein grauer oder blauer Overall bekannt war, praktisch unbrauchbare Hinweise für jeden Kriminalisten. Ingram sah also die einzige Möglichkeit weiterzukommen in der Durchleuchtung des persönlichen Umfelds von Felicia Schlesinger und Professor Gropius.
    Nach den ersten Verhören hatte der Leiter der Sonderkommission den Eindruck gewonnen, dass Gropius durchaus an der Aufklärung seines Falles interessiert war, während Felicia Schlesingers Auftreten eine gewisse Zurückhaltung erkennen ließ, als wollte sie gar nicht wissen, wer ihren Mann umgebracht hatte. So gesehen fokussierte sich der Verdacht weniger auf den kooperativen Professor als auf die undurchsichtige Witwe. Ingram ordnete an, ihr Haus am Tegernsee rund um die Uhr zu bewachen.
    Was Gropius betraf, so setzte sich der Anschlag auf sein Leben erst viel später in seinem Gedächtnis fest. Der größere Eindruck, den dieser ereignisreiche Tag bei ihm hinterlassen hatte, war die unerwartete Leidenschaft Felicias, von der er jedoch nicht einmal genau zu sagen wusste, ob sich dahinter wirkliches Verlangen oder lediglich die Erleichterung, knapp dem Tod entronnen zu sein, verbarg. Sein Kopf war voll von düsteren Gedanken, für echte Gefühle blieb da kein Raum. Seit ihrem ersten Zusammentreffen war er Felicia stets mit der Reserviertheit eines Pfaffen begegnet, er hatte in ihr eine Schicksalsgenossin gesehen; auch wenn ihm ihr attraktives Äußeres nicht entgangen war, so blieb er weit davon entfernt, sie anziehend oder gar begehrenswert zu finden.
    Wie es trotz allem zwischen ihnen zu jenem Gefühlsausbruch kommen konnte, das beschäftigte Gropius in den folgenden Tagen beinahe mehr als die Ursache, die sie zusammengeführt, und die Umstände, welche die kurze heftige Intimität ausgelöst hatten. Er selbst schwankte zwischen Reue, sich so gehen gelassen zu haben, und dem zaghaften Eingeständnis, dass er Lust empfand, sie zu spüren und zu liebkosen.
    Natürlich war das unvorhersehbare Missgeschick – wenn wir es einmal so nennen wollen – ihrer Lage nicht gerade förderlich, denn seit seinem Verhör wusste Gropius, dass er unter Beobachtung stand. Und sicher hatten Ingrams Späher sie Champagner trinkend in der Hotellobby beobachtet und dachten nun darüber nach, welche Schlüsse sie aus all dem ziehen konnten. In Augenblicken wie diesen konnte Gropius der verfahrenen Situation, in der er sich befand, auch etwas Positives abgewinnen. Bisweilen dachte er sogar an ein Katz-und-Maus-Spiel

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