Die Akte Golgatha
gemacht, die nicht gerade zu den Ärmsten gehören, einen Bauunternehmer aus Stuttgart, einen Ziegeleibesitzer aus Niederbayern, einen Börsenspekulanten, einen Hotelbesitzer und so weiter, alles Leute mit Geld.«
Gropius nickte ungeduldig: »Ich kann mir vorstellen, dass diese Leute nicht gerade auskunftsfreudig waren, wenn Sie sie nach dem Zustand ihrer inneren Organe fragten.«
Lewezow machte eine fahrige Handbewegung. »Der Erste, den ich befragen wollte, ein Bauunternehmer, warf mich hinaus und hetzte die Hunde auf mich. So kam ich zu der Überzeugung, dass ich mich im Umfeld der Betroffenen umhören musste. Aber auch das brachte mich nicht weiter, und ich stellte mich schon auf eine längere Aufgabe ein, als ich eher durch Zufall mit dem Hausmädchen eines Brauereibesitzers, der ebenfalls auf der Liste steht, ins Gespräch kam. Sie war ein richtig dralles Mädchen vom Land mit einem kräftigen Haarkranz und erwies sich als äußerst auskunftsfreudig. Ja, meinte sie, Gruber, so heißt der Braumeister, habe vor kurzer Zeit eine neue Leber bekommen. Die alte, sagte sie, habe es nicht mehr gemacht. Aber das sei ganz schön teuer gewesen und etwas außerhalb der Legalität. Und dabei verdrehte sie die Augen.«
Gropius wurde unruhig: »Und konnten Sie Näheres in Erfahrung bringen? So reden Sie schon!«
Lewezow genoss solche Augenblicke. Augenblicke, die ihm, dem armseligen Schnüffler, der von Indiskretionen lebte, eine gewisse Wichtigkeit verliehen und das Gefühl, dass er gebraucht wurde. Deshalb sprach er betont langsam, als er fortfuhr: »Ich gab mir den Anschein, als wartete ich ebenfalls auf eine Lebertransplantation, ich verfluchte den Alkohol und gab zu erkennen, dass ich als Nr. 85 auf der Warteliste dem Tod geweiht wäre. Und dann stellte ich die Frage, wie der Braumeister zu seinem Organ gekommen sei. Das Mädchen blickte nach links und nach rechts – unser Gespräch fand zwischen Tür und Angel statt – und erwiderte im Flüsterton, in München gebe es einen Professor, der jedes gewünschte Organ beschaffen könne und transplantiere, allerdings für eine irrsinnige Summe, und die Patienten müssten unterschreiben, über den Vorgang Stillschweigen zu bewahren. Die Adresse der Klinik wisse sie nicht, aber der Name des Professors sei ihr im Gedächtnis geblieben: Fichte.«
Gropius sprang auf. Er hatte es geahnt. Dieser miese, kleine Fichte, den sie liebevoll ›Bäumchen‹ nannten, arbeitete mit der Organmafia zusammen! Der Professor stampfte, die Arme vor der Brust verschränkt, im Raum auf und ab. Er kochte vor Wut, Wut auf sich selbst, weil er dem hinterhältigen Kerl nie misstraut und Ungereimtheiten in Bezug auf seine Person einfach ignoriert hatte. Nun sah er die Überstunden, die Fichte bereitwillig absolvierte, und die freien Tage, die er regelmäßig dafür in Anspruch nahm, in einem anderen Licht. Fichte führte als Arzt ein Doppelleben. Hier der biedere Oberarzt mit Gehaltsgruppe C 3, dort der geheimnisvolle Transplantationschirurg, der für seine Arbeit Unsummen kassierte. Ich beneide ihn, dachte Gropius, wegen seiner Nervenstärke; denn das System konnte nur so lange funktionieren, so lange es keine Komplikationen gab. Eine einzige Operation, die schiefging, hätte für Fichte das Aus bedeutet.
Jetzt machte auch der Tod Schlesingers Sinn. Offenbar war Fichte der Boden zu heiß geworden. Möglicherweise hatte er, Gropius, in seiner Unwissenheit eine Bemerkung gemacht, die Fichte in Aufruhr versetzte, sodass er diese teuflische Lösung ersann, um ihn aus seiner Position zu drängen. Natürlich, für Fichte war es ein Leichtes, die zur Transplantation bestimmte Leber mit einer Injektion zu vergiften! Dass ausgerechnet Schlesinger daran glauben musste, ein Mann, der offenbar selbst in dunkle Geschäfte verstrickt war, das war Zufall oder ein Beweis dafür, dass jeder von uns im Laufe seines Lebens irgendwann eine Leiche im Keller hat.
»Sie sagen gar nichts!«, bemerkte Lewezow vorsichtig. »Das ist es doch, was Sie wissen wollten.«
»Ja, ja«, erwiderte Gropius abwesend, »das haben Sie wirklich gut gemacht, Lewezow, gute Arbeit. Aber wo Fichte seine Transplantationen durchführt, konnten Sie nicht in Erfahrung bringen?«
»Tut mir Leid. Ich hatte den Eindruck, das Hausmädchen wusste es wirklich nicht. Wenn Sie es wünschen, werde ich noch weitere Namen auf der Liste unter die Lupe nehmen.«
Der Professor überlegte kurz, dann meinte er: »Ich glaube, Sie sollten besser Fichte
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