Die Akte Golgatha
sich, du hast das alles nicht geträumt, das war kein Film, das war Realität: Man wollte dich umbringen, und in letzter Sekunde ist es dir gelungen, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
Undurchsichtig erschien ihm die Rolle Francescas. Die kühle Signora hatte seine Leidenschaft geweckt; nun aber überwog das Misstrauen. Warum hatte sie zuerst gezögert, ihm dann aber so ohne weiteres de Lucas Adresse gegeben? War es wirklich ein Zufall, dass die Kidnapper ihm vor de Lucas Institut auflauerten? Auch damals in Berlin hatte ihn nach dem geplatzten Treffen mit Francesca ein Mitglied der ehrenwerten Gesellschaft angesprochen. Es war wie immer im Leben: Die schönsten Beine haben einen Pferdefuß.
Beinahe wäre Gropius in der Wanne eingeschlafen, da hörte er an der Zimmertür ein Geräusch. Da war sie wieder, die Angst vor dem Unbekannten, ein Gefühl, das er bis vor wenigen Wochen nicht gekannt hatte. Er richtete sich auf, sorgsam bedacht, kein Geräusch zu verursachen. Lautlos schlüpfte er in seinen Bademantel und spähte durch den Türspalt ins Zimmer. Seine Nerven waren nicht mehr die besten. Nicht an diesem Tag! Er hatte vergessen, die Sicherungskette an der Zimmertür vorzulegen. Jetzt machte er sich Vorwürfe. Er hatte keine Lust auf weitere Nackenschläge. Vorsichtig drückte er die Badezimmertür auf und starrte zum Eingang. Auf dem Boden lag ein Zettel, eine Hotel-Message unter der Türe hindurchgeschoben.
Gropius hob den Zettel auf: ›Message 17 Uhr 30 – Anruf Signora Colella. Bittet um Rückruf‹.
Die Nachricht war über zwei Stunden alt. Gropius kannte das von anderen Hotels. Was zum Teufel hatte das zu bedeuten? Wollte Francesca ihn vorführen, ihn demütigen? Oder sollte sie ein zweites Mal als Lockvogel dienen?
Aufgewühlt und hundemüde legte sich Gropius ins Bett. Da summte das Telefon. Gropius stülpte ein Kissen darüber. Mit Francesca wollte er nichts mehr zu tun haben. Er wollte nur noch nach Hause. Der nächste Flug ging morgens um 9 Uhr 10. Flug LH 5613.
K APITEL 7
Z urück in München war Gropius der Verzweiflung nahe. Auch unter Aufbietung aller Kräfte gelang es ihm nicht, sich auf die selbst gestellte Aufgabe zu konzentrieren. Wie sollte er Schlesingers Tod, Prasskovs Machenschaften, das offensichtliche Doppelspiel Fichtes, de Lucas ungeklärte Rolle, die üblen Erpressungsversuche Veroniques und nicht zuletzt die Jagd auf eine geheimnisvolle Akte, die ihn beinahe das Leben gekostet hätte, auf einen gemeinsamen Nenner bringen?
Unser Leben ist das Ergebnis von Zufällen, dem Sich-Kreuzen von Biografien und Ereignissen. Wenn diese Erkenntnis eines Beweises bedurfte, das war er. Längst hatte Gropius erkannt, dass die Kunst nun darin bestand, ausgehend von den Kreuzungspunkten alle Fäden bis zu ihrem Ausgangspunkt aufzurollen. Eine schier unlösbare Aufgabe für einen Einzelnen. Und zum ersten Mal, seit Aufnahme seiner Nachforschungen, trug Gropius sich ernsthaft mit dem Gedanken aufzugeben.
Hatte er den Bombenanschlag noch mit einer gewissen Kaltschnäuzigkeit weggesteckt, weil er glaubte, dass er nicht ihm galt, so hatten ihn das Attentat vor Lewezows Haus, vor allem aber die Entführung in Turin eines Besseren belehrt. Angst war ihm zum ständigen Begleiter geworden.
Aber selbst wenn er aufgab, wenn er von heute auf morgen alle Recherchen einstellen würde, wäre das keine Garantie für seinen Seelenfrieden. Er würde weiter mit dem Unbehagen leben – und mit der Angst. Als Student hatte er, weil es als schick galt, Sartre verschlungen, der behauptete, Angst sei die Angst vor sich selbst, vor den eigenen unvorhersehbaren Verhaltensweisen. Erst jetzt erkannte er den Wahrheitsgehalt dieser Worte. Nein, er würde nie aufgeben!
Bestärkt wurde Gropius in seiner Absicht durch einen Anruf Lewezows, er sei einem ganz großen Ding auf der Spur und er, Gropius, sei in eine Sache verstrickt, die seine Vorstellungskraft übersteige. Lewezow tat sehr aufgeregt.
Gropius rief den Privatdetektiv zu sich. Keine zwanzig Minuten später stand Lewezow vor der Tür.
»Das war keine leichte Aufgabe«, begann Lewezow noch bevor Gropius ihm einen Platz angeboten hatte. »Wohin ich auch kam, ich prallte gegen eine Wand von Schweigen und Ablehnung. Aber was ein guter Detektiv ist, der gibt nicht auf!«
»Der Reihe nach, Herr Lewezow! Wie sind Sie vorgegangen?«
»Ich habe mich zunächst an Ihre Empfehlung gehalten und in der Warteliste ein Dutzend potenzieller Organempfänger ausfindig
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