Die Akte Golgatha
Sie sollten Ihre Meinung über die Polizei revidieren.«
Ingram sprang auf und stampfte mit heftigen Schritten auf und ab. »Das ist das Widerliche an unserem Job«, zischte er, ohne Gropius anzusehen, »die meisten halten uns für beschränkt und vertrottelt, wenn wir einen Mörder drei Tage nach der Tat noch nicht gefasst haben. Jetzt haben Sie einmal am eigenen Leib erfahren, wie mühsam es ist, welcher Kleinarbeit es bedarf, um einen Fall aufzuklären. Dabei sind wir in Ihrem Fall von einer Lösung noch genauso weit entfernt wie am Anfang.«
»Wie bitte?« Gropius warf Ingram einen wütenden Blick zu. »Wie meinen Sie das, Kommissar? Für mich steht fest, dass Fichte Schlesinger auf dem Gewissen hat. Er wollte mich abservieren, um an meinen Job zu kommen. Damit er mit geringerem Risiko seinen dunklen Geschäften nachkommen kann. Und wie man sieht, ist ihm das auch gelungen. Er hat sich nur verrechnet, er glaubte, ich würde mich kampflos ergeben.«
»Das ist Ihre Hypothese, Professor. Sie haben keinen Beweis für diese Theorie, die – mit Verlaub – etwas konstruiert ist. Wenn Ihr Oberarzt Sie wirklich und für immer hätte ausschalten wollen, wäre es sicherlich einfacher gewesen, den Patienten so sterben zu lassen, dass es wirklich wie ein Kunstfehler aussieht. Warum dann der ganze Aufwand mit dem vergifteten Organ? Das lenkt doch sofort den Blick auf kriminelle Machenschaften. Und Sie sagten ja gerade selbst, dass Fichte ungestört arbeiten wollte.«
»Zugegeben; aber wenn Sie den Beweis nicht liefern, in Ihren Ermittlungen nicht endlich weiterkommen, werde ich auf eigene Faust ermitteln müssen, um endlich wieder ein normales Leben führen zu können.«
»Das steht Ihnen frei, Professor, solange Sie sich innerhalb der Gesetze bewegen. Aber wenn Sie meine Meinung hören wollen, überlassen Sie uns das Geschäft. Denn wie man gesehen hat, ist mit diesen Leuten nicht zu spaßen. Ohne Zweifel steht Dr. Fichte auf der Gehaltsliste der Organmafia, doch uns fehlt jeder Beweis, dass er auch für Schlesingers Tod verantwortlich ist.«
Gropius blickte nachdenklich. »An einem Herzinfarkt, sagten Sie, sei Thomas Bertram gestorben?«
»Das ist die offizielle Todesursache – jedenfalls nach Auskunft unserer Kollegen von Interpol.«
»Ich behaupte, bei der Transplantation ist etwas schief gelaufen. Bertram starb bei oder nach der Operation. Die Leiche sollte obduziert werden.«
»Dazu brauchen wir die Einwilligung der Angehörigen!«
»Die werden das nicht erlauben, sie wussten schließlich, dass die Operation illegal war.«
»Dann müssen wir den Staatsanwalt einschalten! Wie ich Staatsanwalt Renner kenne, wird er sicher die Obduktion anordnen. Er lässt keine Gelegenheit aus, sich Sporen zu verdienen.«
Während der folgenden Tage drehte sich Gropius mit seinen Gedanken im Kreis. Der vermeintliche Trumpf, den er mit Fichtes Enttarnung in Händen zu halten glaubte, war zwar geeignet, etwas Licht in das Dunkel der Angelegenheit zu bringen, die Lösung aber brachte er nicht. Dazu gab es noch zu viele Ungereimtheiten.
In seiner Wut auf Fichte hatte Gropius die Spur, die er in Turin verfolgte, völlig außer Acht gelassen, seine eigene Entführung und den mysteriösen Tod von Professore de Luca ebenso.
Was Felicia betraf, so hatte die Entdeckung des Liebesbriefes zur Folge, dass sie sich in einen wahren Hass auf ihren verstorbenen Mann steigerte. In einer Mischung aus gekränkter Eitelkeit und Ärger über die eigene Dummheit beschimpfte sie ihn bei jeder Gelegenheit, nannte ihn einen Hurenbock und noch Schlimmeres und beteuerte, sie sei an der Aufklärung der Todesumstände nicht mehr interessiert.
Darüber geriet Gropius mit ihr sogar in Streit, weil er es ablehnte, seine Nachforschungen einzustellen. Es ärgerte ihn, dass Felicia so wenig Verständnis für seine Situation aufbrachte. Schließlich konnte sein Ruf nur durch eine lückenlose Aufklärung des Verbrechens wieder hergestellt werden. Aber bis dahin war es noch weit – wie schon der folgende Tag zeigen sollte.
Unangemeldet und ziemlich aufgeregt erschien am nächsten Morgen der Reporter Daniel Breddin an der Haustür. Er grüßte kurz und kam dann gleich zur Sache.
»Was sagen Sie zu der neuesten Entwicklung des Falles?« Erwartungsvoll sah er Gropius an.
Dieser, noch im Bademantel und unrasiert, knurrte etwas von einem lästigen Überfall am frühen Morgen, aber dann siegten seine Neugierde und die Einsicht, dass es unklug wäre, es sich
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