Die Akte Golgatha
mit dem Reporter einer großen Zeitung zu verderben, und er bat Breddin herein.
»Fichte«, begann Breddin, und dabei sprudelte es nur so aus ihm heraus, »Fichte ist entwischt. Er hat sich mit dem Flugzeug abgesetzt. Die Fahndung nach ihm wurde europaweit ausgeschrieben. Staatsanwalt Renner hat Haftbefehl erlassen. Was sagen Sie dazu, Professor?«
Gropius brauchte ein paar Sekunden, um die Neuigkeiten zu verarbeiten. In seinem Kopf mischten sich Argwohn, Zweifel und Gewissheit.
»Ich bin nicht allzu überrascht«, erwiderte er dann, »schließlich habe ich selbst zu Fichtes Entlarvung beigetragen.«
»Sie wussten schon länger von Fichtes Verstrickung in die Machenschaften der Organmafia?«
»Eine Ahnung hatte ich schon seit längerem, in der Tat. Mir fehlte nur der Beweis.«
»War Dr. Fichte überhaupt in der Lage, Organtransplantationen fachgerecht auszuführen?«
»Durchaus. Er hat mir selbst viele Male assistiert und einige Operationen selbstständig ausgeführt. Fichte ist kein schlechter Transplantationschirurg. Ich nehme an, das war auch der Grund, warum Prasskov und die Organmafia sich gerade an ihn herangemacht haben.«
»Und wann kam Ihnen zum ersten Mal der Verdacht, dass mit Fichte etwas nicht stimmt?«
Gropius blickte betroffen zu Boden. »Leider viel zu spät. Ich habe ihm einfach vertraut, jedenfalls bis zu dem mysteriösen Tod von Schlesinger.«
»Soll das heißen, Sie halten Dr. Fichte noch immer für Schlesingers Mörder?«
»Sie etwa nicht?« Gropius machte ein verdutztes Gesicht. »Worüber unterhalten wir uns eigentlich die ganze Zeit?«
Ungehalten zupfte sich Breddin an der Nasenspitze. »Das sind zwei ganz verschiedene Dinge, der Mord an Schlesinger und Fichtes Verbindungen zur Organmafia.«
»Wie?« Gropius war sichtlich verwirrt. »Fichte hatte ein klares Motiv für seine Tat. Dabei ging es ihm weniger um Schlesinger als um mich. Ich war es, der ihm bei seinen dunklen Geschäften im Wege war!«
»Professor, das klingt durchaus einleuchtend; aber die neueste Entwicklung des Falles spricht leider dagegen.«
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen. Vielleicht können Sie etwas deutlicher werden, Breddin!«
»Staatsanwalt Renner hat heute Morgen das Obduktionsergebnis von Thomas Bertram veröffentlicht«, antwortete Breddin abgeklärt. »Bertram starb nach einer Lebertransplantation. Und die Todesursache war die gleiche wie bei Schlesinger. Das Organ war mit einer Injektion des Insektengifts Chlorphenvinphos vergiftet.«
Gropius sprang von seinem Sessel auf. Er rang nach Luft. Leise, kaum hörbar, stammelte er: »Das würde ja bedeuten …«
»Jedenfalls wäre es höchst unwahrscheinlich und würde kaum Sinn machen, dass Fichte erst Ihren Patienten ermordet und dann seinen eigenen, und beide Male auf die gleiche Weise und mit demselben Gift. Was sagen Sie jetzt, Professor?«
Gropius schüttelte den Kopf, als wollte er das eben Gehörte nicht wahrhaben, dann schlug er die Hände vors Gesicht. Wieder einmal hatten die Dinge kurz vor dem Ziel eine neue Wendung genommen, und wieder einmal befand er sich in einer Sackgasse.
Eine neuerliche E-Mail mit dem unbekannten Kürzel IND setzte beim Bundesnachrichtendienst in Pullach die alte Maschinerie in Gang. Wie die meisten Zielobjekte, die aus irgendeinem Grund das Interesse der Schnüffler erregen, war die Suche nach dem geheimnisvollen Code IND im Sande verlaufen; aber an diesem Morgen erschien Heinrich Meyer, Leiter von SIGINT, Abteilung 2, in Begleitung von Wolf Ingram und mit einem Computerausdruck zur morgendlichen Lagebesprechung, fuchtelte ungehalten in der Luft herum, knallte das Papier auf den Konferenztisch in der Mitte des Raumes und rief: »Ich hatte gehofft, die Angelegenheit würde sich zu gegebener Zeit von selbst erledigen und in Vergessenheit geraten. Jetzt beginnen die Scherze von neuem. ›Auftrag ausgeführt. IND‹ Soll mir keiner erzählen, dass diese Nachricht keinen kriminellen Hintergrund hat. Peters, Sie sind dran!«
Ulf Peters, Leiter der Abteilung 5, Operative Aufklärung, wie üblich in schwarzer Lederjacke, verzog das Gesicht zu einer Grimasse wie immer, wenn er sich nicht wohlfühlte in seiner Haut. An diesem Morgen fühlte er sich besonders unwohl. Er hasste es, von Meyer vor versammelter Mannschaft gemaßregelt zu werden, auch wenn Meyer zwanzig Jahre älter war als er, und meist reagierte er darauf mit Zornesausbrüchen; doch an diesem Morgen blieb er ziemlich ruhig, als er antwortete: »Ich muss doch
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