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Die Akte Kachelmann

Die Akte Kachelmann

Titel: Die Akte Kachelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Knellwolf
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«normal die Treppe runtergelaufen», sei nach Mörfelden ins Holiday Inn gefahren und am nächsten Tag nach Vancouver geflogen. «Und genau so», beteuert Jörg Kachelmann, «hat sich diese Nacht zugetragen. Genau so. Und das schwöre ich.»
    Die Mutter von Sonja A. will nicht mit der Presse sprechen. Sie hat Tränen in den Augen, als sie sich von der Mülltonne und von der Journalistin aus Zürich abwendet. Beim Reingehen, so wird sie am nächsten Tag der Schwetzinger Polizei erzählen, habe sie noch vor sich hin geredet. Alles sei gelogen, habe sie zu sich selbst gesagt, als sie die Treppe hochging. Die Haustür habe sie sofort hinter sich abgeschlossen.
    Beim Witwenschütteln verfolgen Journalisten das Ziel, von Hinterbliebenen von Unglücksopfern und anderen Menschen, denen Leid widerfahren ist, möglichst gefühlvolle Zitate, Auskünfte oder Bilder zu ergattern. Ein ehemaliger «Bild»-Chefredakteur gewährte vor ein paar Jahren einmal Einblick ins umstrittene Metier. «Ich war damals oft mit demselben Fotografen unterwegs, wir hatten eine perfekte Rollenaufteilung», gab er im «Tagesspiegel» preis. «Er hatte eine Stimme wie ein Pastor und begrüßte die Leute mit einem doppelten Händedruck, herzliches Beileid, Herr … Ich musste dann nurnoch zuhören. So kamen wir an die besten Fotos aus den Familienalben.»
    Doch oft geht es nicht so einfach, viele Boulevardreporter sind ohne Pastorenstimme unterwegs. Dann sind Hartnäckigkeit, Ideenreichtum, Einfühlungsvermögen, eine gehörige Portion Heuchelei und manchmal ein kleines Präsent oder ein, zwei Geldscheine gefragt.
    Kachelmanns Prolog ist beendet, es folgen die Fragen. Amtsrichter Siegfried Reemen will noch genauer hören, wie die Trennung verlaufen sein soll. «Erst kam das Essen», sagt Jörg Kachelmann, «dann der Brief.» Sonja A. und er hätten geweint, geschwiegen, ihr Gespräch von einer halben Stunde Dauer sei «emotional» gewesen mit dem «Konsens, dass dies das Ende der Beziehung sei». Für ihn habe es nicht viel mehr zu sagen gegeben, «als es zuzugeben». «Diskutiert wurde nur der Brief und dessen Inhalt», ergänzt Jörg Kachelmann, «über Treue und andere Verhältnisse» sei nicht gesprochen worden.
    Anders schaut die Version aus, die Sonja A. ihrer Mutter geschildert hat: Jörg Kachelmann habe zuerst abgestritten, die Frau vom Flugticket zu kennen. Irgendwann habe Herr Kachelmann diese und andere Liebschaften eingestanden und gesagt, er sei labil. Statt die Wohnung zu verlassen, sei er in die Küche gegangen, habe ein Messer geholt und habe ihre Tochter vergewaltigt. Wie das geschehen sein soll, hat Sonja A. ihrer Mutter nicht erzählt.
    Jörg Kachelmann sagt, er sei «nicht hundertprozentig» sicher, ob er in jener Nacht überhaupt in der Küche gewesen sei. Gewiss ist er sich aber: «Ich hatte das Messer nicht in der Hand.» Wenn er seine Strafakte studiert hat, weiß er auch: An der angeblichen Tatwaffe sind keine verwertbaren Fingerabdrücke gefunden worden.
    Sonja A. kommt in der Traumaambulanz der Uni-Klinik Heidelberg an. Sie ist, so hält Therapeut Seidler in seinen «Behandlungsaufzeichnungen» fest, sehr pünktlich und in entsetzlichem Zustand. Sie weint, es schüttelt sie, sie sagt: Wenn sie das alles gewusst hätte, hätte sie niemals Anzeige erstattet. Aber so jemand dürfe doch nicht frei herumlaufen.
    Unmittelbar vor der Befragung im Amtsgericht hat die Staatsanwaltschaft der Verteidigung erste Ergebnisse der DNA-Untersuchung des Tomatenmessers überreicht. Die Resultate aus dem Labor sind provisorisch und interpretationsbedürftig. Am schwarzen Plastikgriff hatte der Experte des Landeskriminalamts eine sogenannte «Mischspur» von mindestens zwei Personen gefunden: 18 von 22 Erbgut-Informationen von Sonja A. konnte er feststellen. Von Jörg Kachelmann finden sich 14 der 22 Merkmale. Für Laien mag ein solches Ergebnis eindeutig erscheinen. Das ist es aber ganz und gar nicht. Die DNA-Analyse wird in der Strafsache 404 Js 3608/10 mehr Fragen aufwerfen, als Gewissheiten bringen.
    Nun schaltet sich Verteidiger Birkenstock ein. Er will von seinem Mandanten wissen, ob er das Messer ganz sicher nicht angefasst habe. «Hundertprozentig kann ich es nicht ausschließen», relativiert Jörg Kachelmann seine überzeugte Aussage von eben, «aber ich kann mich heute nicht erinnern, es benutzt zu haben.»
    Die molekulargenetischen Untersuchungen sind längst nicht abgeschlossen. Die acht Zentimeter lange Klinge, soviel scheint

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