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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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Salon
zurück und ließ sie in einem Lehnsessel niedersitzen.
    Die arme Frau war völlig gebrochen, sie starrte mit
leeren Augen vor sich hin und Raoul fürchtete für
ihren Verstand.
    »Komm zu dir, geliebte Mutter,« sagte er und
versuchte ihre kalten Hände zu erwärmen,
»glaube mir, es ist nichts Schlimmes geschehen, im Gegenteil,
du hast mir das Leben gerettet und Prosper einen ungeheuren Dienst
erwiesen. Er ist zwar gefaßt, daß man ihn verhaften
wird, aber da sich seine Schuld nicht beweisen läßt,
muß er freigesprochen werden.«
    Raoul sprach noch lange auf seine Mutter ein, aber sie schien
nicht zu hören oder nicht zu verstehen; sie wiederholte nur
von Zeit zu Zeit: »Das ist mein Tod, das überlebe ich
nicht.«
    Ihre Stimme war wie gebrochen und klang so verzweifelt,
daß Raoul vom tiefsten Mitleid ergriffen wurde. Schon wollte
er ihr das Geld zurückgeben, da aber dachte er an Clameran und
seufzend erstickte er seine bessere Regung.
    Es war Zeit für ihn, sich zu entfernen, wie leicht
konnte Magda, konnte der Bankier nach Hause kommen und
Aufklärung über den Zustand Frau Fauvels verlangen.
    Er drückte daher einen leisen Kuß auf die
Stirne seiner Mutter und entfernte sich verstohlen.
    Clameran erwartete seinen Spießgesellen mit
größter Ungeduld, als er endlich erschien, eilte er
ihm erregt entgegen und fragte nur: »Nun?«
    »Es ist nach deinem Wunsche geschehen, und dir danke
ich es, daß ich der niederträchtigste Schurke von der
Welt bin!«
    Er zog das Päckchen mit den Banknoten hervor, warf
sie auf den Tisch und sagte: »Da hast du das Geld, das drei
Leuten die Ehre, vielleicht das Leben kostet!«
    Clameran achtete nicht der Worte Raouls, er betastete mit
fieberhaft zitternder Hand die Scheine.
    »Endlich,« sagte er, »nun ist Magda
mein!«
    Dann wandte er sich an Raoul und fragte lächelnd:
»Hat's schwer gehalten?«
    »Ich verbiete dir,« rief Raoul
außer sich, »hörst du wohl, ich verbiete dir je
wieder von diesem Abend zu sprechen. Ich will ihn zu vergessen
trachten!«
    Clameran zuckte die Achseln.
    »Wie du willst,« sagte er ruhig,
»aber vielleicht verschmähst du dies Andenken doch
nicht. Nimm dies Geld, es sind 35 000 Frank, sie gehören
dir.«
    »Unserem Vertrage nach gebührt mir weit
mehr,« versetzte Raoul.
    »Es soll auch nur eine Abschlagszahlung sein. Das
übrige bekommst du, wie vereinbart, an meinem
Hochzeitstage.«
    »Schön, ich will mich gedulden, aber das
sage ich dir – mute mir keine Schurkereien mehr zu
– ich würde mich entschieden weigern noch mehr
solche Aufträge, wie den heutigen,
auszuführen.«
    »Nein, sei außer Sorge, du kannst dir jetzt
den Luxus, moralisch zu werden, gönnen, deine Rolle ist zu
Ende, nun trete ich auf den Plan.«

20. Kapitel
    Eine Stunde war verflossen seit Raoul sich entfernt hatte, und
Frau Fauvel saß noch immer in völliger Erstarrung da,
unfähig sich zu regen, unfähig zu denken.
    Erst nach und nach kam ihr das Gefühl ihrer Lage
zurück. Jetzt begriff sie, daß sie sich von Raoul
hatte schmählich betrügen lassen, daß er sie
kaltblütig gefoltert und auf ihre blinde Mutterliebe gerechnet
hatte. Ob Prosper wirklich Raouls Mitschuldiger war? Sie mußte
es annehmen, nach dem, was ihr Sohn ihr gesagt hatte. Und nun
quälte sie auch noch eine andere Frage: konnte, durfte sie
Magda von dem Vorgefallenen verständigen?
    Nach langen Erwägungen beschloß sie das
fürchterliche Erlebnis geheim zu halten.
    Sie begab sich zur Ruhe noch ehe die Ihren heimkehrten.
    Aber Ruhe fand sie nicht.
    Die ganze Nacht war für sie eine endlos lange,
unerträgliche Qual.
    Und so lang sie schien, so fürchtete sie doch den
kommenden Tag, sie zählte die Stunden: »Noch sechs
– noch drei – ach, in der nächsten
– in wenigen Augenblicken wird alles entdeckt sein! O Gott,
o, großer Gott, was dann, was dann?«
    So jammerte sie.
    Der Tag kam, sie wollte sich erheben, vermochte es aber nicht.
Sie fühlte sich unsäglich schwach und
Krämpfe schüttelten sie. Sie sank in ihre Kissen
zurück und erwartete schaudernd, was kommen mußte.
    Magda war auf Mitteilung der Kammerfrau, daß die
gnädige Frau sehr unwohl sei, besorgt herbeigeeilt. Sie fand
den Zustand der Tante so bedenklich, daß sie den Onkel
verständigen wollte und entfernte sich, um ihn zu holen. Nach
einigen Minuten aber erschien sie wieder. Sie war bleich wie der Tod
und bebte am ganzen Leibe.
    »Weißt du, was vorgeht,

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