Die Akte Nr. 113
heiraten, den geliebten Mann weit
entfernt wissen.
Unterdessen stellten sich für Frau Fauvel die Folgen
ihrer allzu großen Freigebigkeit gegen Raoul ein. Die
Lieferanten, die sich lange geduldet hatten, drängten endlich
auf Bezahlung ihrer Rechnungen und drohten, sich an den Bankier selbst
zu wenden.
Dazu kamen Toilettesorgen. Die beiden Damen hatten allerlei
Vorwände gebraucht, um keine Bälle und Gesellschaften
besuchen zu müssen – nur um keine Toiletteausgaben
zu haben, aber nun kam der Ball bei Fauvels bestem Freunde, Jandidier,
und sie konnten sich nicht weigern hin zu gehen.
Woher aber sollten sie Geld zu den Kostümen nehmen?
Schon schuldeten sie der Schneiderin eine bedeutende Summe.
Da kam ihnen unerwartet Hilfe.
Magdas neues Kammermädchen Anna, erzählte
ganz zufällig von einer geschickten Schneiderin, die erst
Anfängerin war, aber genügend Kapital besaß,
um Stoffe und alles liefern zu können. Diese Schneiderin
würde glücklich sein, durch die Kundschaft der Damen
Fauvel zu Ansehen zu gelangen.
Das war ein Ausweg, aber nun fehlte es ihnen an Schmuck.
Sollte Frau Fauvel ohne ihre Brillanten zum Balle gehen? Auch Magdas
Kostüm als Edeldame erforderte Geschmeide.
Da kam das junge Mädchen auf den Gedanken, Raoul
solle von dem gestohlenen Gelde wenigstens so viel hergeben, um den
Schmuck auslösen zu können.
»Schreibe Raoul, daß du ihn zu sprechen
wünschest,« sagte sie zu Frau Fauvel, »und
dann fahre ich hin.«
Und in der Tat, am nächsten Abend fuhr das tapfere
Mädchen nach Besinet. Aber ihr Schritt war nutzlos. Raoul
behauptete mit Prosper geteilt, seinen Anteil aber schon verschwendet
zu haben. Auch die Pfandscheine wollte er nicht herausgeben –
er handelte nach Clamerans strenger Weisung – und es gelang
Magda nur, ihm einige, die geringe Schmuckgegenstände
betrafen, zu entreißen – was hätten ihr
auch alle geholfen, da sie doch nicht das Geld besaß, die
Kostbarkeiten auszulösen! – Frau Fauvel
mußte ohne Brillanten, überhaupt ohne Schmuck auf den
Ball gehen! – – –
Clameran und Raoul lebten in beständigem Hader
miteinander, aber angesichts einer gemeinsamen Gefahr söhnten
sie sich wieder aus.
Der geheimnisvolle Bajazzo und seine Andeutungen erschreckten
sie so sehr, daß sie ihn zu ermorden versuchten, als ihr
Attentat vereitelt war, und sie gar seine Spur verloren hatten,
überfiel sie jäher Schrecken.
»Wir müssen auf unserer Hut sein,«
sagte Clameran, »ich fürchte, wir erfahren nur zu
bald, wer der Mann ist.«
Raoul bat und beschwor Louis auf Magda zu verzichten.
»Noch ist es Zeit, komm, fliehen wir.«
»Nein,« versetzte Clameran leidenschaftlich,
»Magda muß mein werden oder ich gehe
zugrunde.«
Und ruhiger geworden, fügte er hinzu:
»Fürchte nichts, wir sind ja jetzt gewarnt
– uns kann nichts geschehen!«
21. Kapitel
Verduret schloß das Manuskript, hob den Kopf und
blickte Prosper lächelnd an.
»Nun, was sagen Sie dazu?«
Prosper hatte erstaunt, erschüttert
zugehört. Wie war es dem außerordentlichen Manne nur
möglich gewesen, all dies in so kurzer Zeit in Erfahrung zu
bringen!
Verwundert fragte er Verduret, wie das nur möglich
gewesen?
»Ja,« antwortete dieser heiter,
»man kann viel leisten, wenn man nur den guten Willen dazu
hat. Und nun, lieber Freund, freuen Sie sich, noch ehe acht Tage ins
Land gehen, habe ich unsere beiden Spitzbuben ins Garn gelockt, Ihre
Ehre ist wieder hergestellt, und ich habe mein Versprechen, das ich
Ihrem Vater gab, eingelöst.«
»Ist's möglich – wie kann ich
Ihnen danken...«
»Danken Sie mir nicht, erzählen Sie mir
lieber, was Sie die ganze Zeit über gemacht haben?«
Prosper wurde verlegen. Er hätte seinen
törichten Streich gerne verheimlicht, aber er sah ein,
daß er das nicht durfte, vielmehr dem Manne, der sich seiner
in so edler selbstloser Weise annahm, die Wahrheit schulde.
»Ach Gott, ich war ein Narr,« sagte er,
»ich habe in der Zeitung die Verlobungsanzeige Magdas
gelesen...«
»Nun – und ...?« fragte Verduret
besorgt.
»Und da habe ich Herrn Fauvel einen anonymen Brief
geschrieben...«
Verduret schlug mit der Faust ingrimmig auf den Tisch.
»Sie Unglücksmensch,« rief er
zornig, »nun haben Sie mir vielleicht alles
verdorben!«
»Aber...«
»Schweigen Sie, wollen Sie Ihre Dummheit etwa gar
noch rechtfertigen? Was hatte ich Ihnen denn ausdrücklich
gesagt?«
»Ich sollte mich ruhig
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