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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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berührt, er unterbrach ihn daher und fragte: »Das
Fräulein ist wohl nicht mehr hier, hat sie nicht ihre neue
Adresse zurückgelassen?«
    »Nein, am Tage als Sie verhaftet wurden, ist sie mit
ihrem ganzen Gepäck weggefahren und seitdem wissen wir nichts
mehr von ihr.«
    Bertomy war von dieser Mitteilung schmerzlich
berührt. »Und die Diener?« fragte er.
    »Ihr Herr Vater hat sie ausbezahlt und
weggeschickt.«
    »Ist mein Vater hier?«
    »Nein, er ist heute morgen abgereist, aber er sagte,
daß sein bester Freund Ihre Rückkehr in der Wohnung
abwarten würde, Sie werden ihn gewiß kennen, es ist
ein freundlicher, dicker, älterer Herr, mit rotem Gesicht und
graublondem Backenbart.«
    Prosper war sehr erstaunt: ein Freund seines Vaters, den er
obendrein nach der Beschreibung gar nicht erkannte, erwartete ihn
– was sollte das bedeuten? Aber er wollte sich seine
Verwunderung nicht anmerken lassen.
    »Ja, ich weiß,« sagte er, eilte
rasch die Treppe hinauf und läutete au seiner Tür.
    Ein Herr, auf den die Beschreibung des Hausmeisters vollkommen
paßte, öffnete ihm. Prosper hatte ihn noch nie
gesehen.
    »Ich freue mich sehr, Ihre werte Bekanntschaft zu
machen,« sagte er und tat, als ob er hier zu Hause
wäre.
    »Ich muß gestehen ...« antwortete
Bertomy.
    »Sie wundern sich über meine Anwesenheit,
nicht wahr? ja, das finde ich begreiflich, Ihr Vater wollte eigentlich
unsere Bekanntschaft vermitteln, aber er mußte notwendig nach
Hause zurückkehren und so hat er es mir überlassen,
mich selber vorzustellen. Vorerst aber lassen Sie mich Ihnen sagen,
daß Ihr Vater die Überzeugung von Ihrer Unschuld, an
die auch ich fest glaube, mitgenommen hat. Übrigens,«
fuhr er fort, noch ehe Prosper ein Wort der Erwiderung finden konnte,
»hat Ihr Vater einen Brief für Sie
zurückgelassen, hier ist er.«
    Prosper nahm den Brief und während er las, erhellte
sich sein Gesicht und seine bleichen Wangen röteten sich
wieder; dann reichte er dein Fremden die Hand und sagte: »Mein
Vater nennt Sie seinen besten Freund und mahnt mich, Ihnen zu vertrauen
und Ihre Ratschläge zu befolgen.«
    »Und ich will Ihnen gerne beistehen,
übrigens wissen Sie meinen Namen noch nicht, ich
heiße Verduret und war bisher Notar, habe mich aber zur Ruhe
gesetzt und verfüge frei über meine ganze Zeit, die
ich jetzt ausschließlich Ihnen widmen will. Aber
zunächst die Frage: Was gedenken Sie zu tun?«
    »Was ich zu tun gedenke?« rief Prosper mit
bebender Stimme und blitzenden Augen. »Den Elenden, der mir
meine Ehre geraubt hat, will ich ausfindig machen, mich an ihm
rächen und gelte es mein Leben!«
    »Und auf welche Weise denken Sie an dies Ziel zu
gelangen? Haben Sie einen Plan?«
    »Nein, aber es wird die Aufgabe meines Lebens sein,
dies Ziel zu erreichen, und ich glaube, was man so mit ganzer Seele
will, das gelingt!«
    »Ich stimme Ihnen vollkommen bei, Herr Bertomy, und
da ich im vorhinein von Ihrer Absicht überzeugt war, habe ich
über die Sache bereits nachgedacht und einen Plan entworfen.
Fürs erste verkaufen Sie Ihr Mobiliar, verlassen dies Haus und
verschwinden vom Schauplatz.«
    »Verschwinden!« rief. Prosper
empört, »das kann Ihr Ernst nicht sein, verschwinden
würde soviel heißen, als mich schuldig bekennen und
alle würden sagen, daß ich mich mit meiner Beute in
Sicherheit gebracht habe.«
    »Nun, was liegt daran, was die Leute
meinen?« entgegnete Herr Verduret. »Waren Sie nicht
eben bereit, Ihr Leben in die Schanze zu schlagen, um Ihre Ehre
wiederzugewinnen. – Ans Ziel gelangen! Das können
Sie nur durch Klugheit. Wenn Ihr Feind Sie ins Wasser
stößt, werden Sie als gewandter Schwimmer sofort
wieder an der Oberfläche auftauchen? Nein, Sie werden ihn
täuschen, ihn in dem Glauben lassen, daß Sie
ertrunken seien, indes Sie unter dem Wasser so lange als
möglich fortschwimmen und erst an einer Stelle auftauchen, wo
Sie außer Sicht sind. Sie haben unzweifelhaft einen Feind; nur
wenn Sie verschwunden sind, wird er die Vorsicht außer acht
lassen, wird sich verraten, dann erst, wenn er entlarvt ist, erscheinen
Sie und nehmen Ihre Rache.«
    Prosper hörte mit Bewunderung den scharfsinnigen
Auseinandersetzungen des Fremden zu und ohne Besinnen antwortete er:
»Ich werde Ihren Rat befolgen, Herr Verduret.«
    »Das freut mich um so mehr, als ich schon im
vorhinein darauf rechnete und mit einem Möbelhändler
in Unterhandlung getreten bin, er wird

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