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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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Augen.
    »Eine Anspielung?« fragte er mit dem
Ausdrucke höchster
Verwunderung. »Welcher Zusammenhang sollte zwischen meiner
Heldin Li-Fo
und der von Ihnen genannten Dame bestehen, die ich gar nicht
kenne?«
    »Wollen Sie etwa behaupten, daß Sie von dem
Unglück, das Herrn Fauvel betroffen hat, nichts
wissen?«
    »Ein Unglück?« fragte der Bajazzo.
»Ist jemand gestorben?«
    »Ich spreche von dem Diebstahl, der im Bankhause
Fauvel stattgefunden hat und von dem alle Zeitungen sattsam
berichteten.«
    »Ja, ja, ich weiß, sein Kassierer ist mit
einer halben Million
durchgegangen, hieß es, mein Gott, das ist ja sozusagen ein
alltägliches Ereignis. Aber welchen Zusammenhang Sie zwischen
meinem
chinesischen Drama und jenem Pariser Diebstahl sehen, ist nur
unerfindlich.«
    Ehe der Marquis eine Antwort fand, stieß ihn Raoul
mit dem Ellbogen
in die Seite. Der Stoß schien ihn plötzlich zu
ernüchtern, offenbar
bereute er seine Heftigkeit und die ihm entfahrenen bedeutungsvollen
Worte, er zwang sich zur Ruhe, maß den Bajazzo mit
verächtlichem Blick
und sagte kalt: »Ich habe mich offenbar getäuscht,
Ihre Erklärungen
genügen mir.«
    Der Bajazzo, der bis jetzt einfältig und bescheiden
geschienen
hatte, warf sich plötzlich in die Brust, stemmte die Faust in
die Seite
und nahm eine übertrieben herausfordernde Stellung, wie ein
richtiger
Raufbold, ein und sagte: »Ich habe Ihnen keine
Erklärung gegeben und
war Ihnen keine schuldig.«
    »O...« versuchte der Marquis einzuwenden.
    »Lassen Sie mich ausreden. Wenn ich wirklich eine
Dame ohne es zu
wollen verletzt habe, so ist es, meine ich, an ihrem Manne, mich zur
Rede zu stellen. Sie haben mich gefragt, wer ich bin, nun aber frage
ich Sie: Wer sind Sie, daß Sie sich unaufgefordert zum
Verteidiger der
Frau Fauvel aufwerfen? Mit welchem Rechte beschimpfen Sie sie, indem
Sie eine Anspielung in einer Geschichte entdecken wollen, die ich nur
zum Spaß erfunden habe?«
    Der Marquis war einen Augenblick über diese Frage
betroffen, er
faßte sich aber rasch und entgegnete: »Ich bin
Fauvels Freund, und noch
mehr, binnen kurzem werde ich zu seiner Familie
gehören...«
    »Ah...?«
    »Jawohl, Fräulein Magda Fauvel ist meine
Braut und in den nächsten Tagen wird die Verlobung
öffentlich bekannt gegeben werden.«
    Diese Mitteilung schien den kaltblütigen Bajazzo doch
etwas aus der
Fassung zu bringen, aber nur einen Augenblick, dann verbeugte er sich
übertrieben tief und sagte mit ironischem Lächeln:
»Meine besten
Glückwünsche, Ihre Braut ist nicht nur die
Ballkönigin des heutigen
Festes, sie bekommt, wie ich mir sagen ließ, rund eine halbe
Million
Mitgift.«
    Raoul hatte sich während dieser Unterredung
fortwährend ängstlich
nach allen Seiten umgeblickt und nur mit größter
Ungeduld zugehört.
    »Jetzt ist's genug,« sagte er, und
verächtlichen Tones fügte er
hinzu: »Ihnen aber, Herr – Possenreißer,
sage ich nur das eine, Ihre
Zunge ist entschieden zu lang.«
    »Das mag sein, mein schöner Ritter, aber
– mein Arm ist noch länger!«
    »Genug,« sagte jetzt Clameran seinerseits.
»Komm, Raoul, was können
wir von einem Manne erwarten, der die Maskenfreiheit derartig
mißbraucht und sich nicht zu erkennen geben will.«
    »Es steht Ihnen frei, den Hausherrn zu fragen, wer
ich bin – wenn Sie den Mut dazu haben!«
    »Sie sind ...« rief der Marquis zornbebend,
»Sie sind ...«
    Durch eine rasche Bewegung verhinderte Raoul seinen Freund,
die
beabsichtigte Beleidigung auszusprechen; sie hätte
wahrscheinlich zu
einer Herausforderung, zu Lärm und Skandal geführt,
und das wollte der
besonnenere Raoul vermieden wissen – es wäre
für beide zu gefährlich
gewesen.
    Der Bajazzo schien die Beleidigung zu erwarten, er
lächelte nur
ironisch, als sie aber ausblieb, sah er dem Marquis scharf ins Auge und
sagte langsam: »Wer ich bin, fragen Sie? Ich bin der beste
Freund, den
Ihr Bruder Gaston bei Lebzeiten hatte, ich war sein Vertrauter, sein
Ratgeber – bis zur letzten Stunde.«
    Wenn der Blitz zwei Schritte vor Clameran in den Boden
gefahren
wäre, hätte er unmöglich entsetzter aussehen
können. Er wurde
totenbleich und fuhr erschrocken mit vorgestreckten Händen
zurück, als
wollte er ein Gespenst, das sich dräuend vor ihm erhoben,
abwehren. Er
versuchte zu antworten, aber die Kehle war ihm wie
zugeschnürt, er
vermochte kein Wort hervorzubringen.
    »Komm mit mir,«

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