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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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unsere Mandarinenfrau von ihren
Gewissensbissen befreit – sie hat offenbar moderne
Philosophen gelesen
– sie reißt sich nicht mehr die weißen
Haare aus, sondern sie färbt
sie, und da sie den schönen Jüngling durchaus an sich
zu fesseln
wünscht, greift sie zu allerlei Auskunftsmittelchen. Sie
denkt: wenn
schon nicht aus Liebe, so wird er aus Interesse, weil es sein Vorteil
ist, bei mir bleiben. Und sie beginnt damit, ihm einen Titel
beizulegen, der ihm nicht zukommt, der ihr aber erlaubt, ihn bei allen
Mandarinen der Hauptstadt des Himmlischen Reiches einzuführen
und damit
er nun auch standesgemäß leben kann,
entäußert sie sich ihrer ganzen
Habe, sie opfert ihm ihre Perlen und Diamanten, ihr ganzes kostbares
Geschmeide. Und der junge Schurke trägt alles in die
Leihhäuser Pekings
und weigert sich dann noch obendrein, die Pfandscheine
herauszugeben.«
    Seit einer kleinen Weile bemerkte der Bajazzo mit Genugtuung,
daß
Frau Fauvel unruhig wurde, sie versuchte zuletzt aufzustehen, aber die
Kraft schien ihr zu fehlen, sie sank auf den Sessel zurück und
mußte
weiter zuhören.
    »Aber, meine Damen und Herren,« begann der
Bajazzo nach einem
Trompetenstoß aufs neue, »der gefüllteste
Kleinodienschrein wird
endlich leer, wie ein Krug, aus dem man immer trinkt. Die arme Li-Fo
hatte nichts mehr zu verschenken, allein er hatte sie umgarnt und
begehrte nun, daß sie ihm den kostbaren Jaspisknopf ihres
Mannes geben
solle. Aber das war nicht leicht, denn Fo-Fo hatte das wundervolle
Kleinod, das ja das Abzeichen seiner Würde war, in einem
Felsenkellergewölbe, das Tag und Nacht von drei Soldaten
bewacht war,
verschlossen. Wie soll ich mich dessen bemächtigen? fragte
sie. O ja,
du kannst es, entgegnete er, von deinen Gemächern
führt ein Weg ins
Felsengewölbe. Ja, aber man wird die armen, unschuldigen
Soldaten
verdächtigen und da sie ihre Unschuld nicht beweisen
können, zum Tode
verurteilen, hinrichten ...? Es half nichts, Li-Fo mochte einwenden,
was sie wollte, mochte weinen, flehen – der schöne
Schurke ließ nicht
nach, bis sie seinen Willen tat. Dies vierte Bild hier, meine
Herrschaften, zeigt Ihnen, wie die beiden Schuldigen über die
geheime
Treppe hinabschleichen, Sie sehen die Angst auf ihren
Zügen...«
    Er brach ab, denn Frau Fauvel war ohnmächtig geworden
und einige von
den Zuhörern, die es bemerkten, waren erschrocken auf sie
zugeeilt,
indes erholte sie sich sogleich und man gab der Hitze und dem
betäubenden Fliedergeruch an ihrem Unwohlsein schuld.
    Während der Kreis um den Bajazzo sich gelöst
hatte und jetzt alle
Frau Fauvel umdrängten, fühlte sich der Bajazzo
plötzlich heftig am Arm
gefaßt; er drehte sich um und sah sich Herrn von Lagors und
dem Marquis
von Clameran gegenüber. Beide waren bleich und ihre finsteren
Gesichter
sahen unheilverkündend aus.
    »Sie wünschen, meine Herren?«
fragte er im verbindlichsten Tone.
    »Sie zu sprechen,« antworteten beide
gleichzeitig.
    »Ich stehe zur Verfügung,« sagte er
und folgte ihnen in eine
abgelegene Fensternische. Niemand hatte den Auftritt bemerkt,
übrigens
war eben der Maskenumzug zu Ende, die Menge strömte und
drängte hin und
her, man lachte und plauderte und unterhielt sich vorzüglich.
    Der Marquis von Clameran, der sich kaum zu beherrschen
vermochte, begann: »Wer sind Sie?«
    Der Bajazzo stellte sich, als glaubte er, es handle sich um
einen
Maskenscherz und antwortete demgemäß: »Wer
ich bin? Ei, meine Herren,
das sehen Sie doch an meinem Kleide! Die lustige Person bin ich,
außerdem noch Theaterdirektor, Seiltänzer,
Taschenspieler...«
    Der Marquis unterbrach ihn wütend: »Sie
haben sich soeben einen niederträchtigen Scherz
erlaubt.«
    Der Bajazzo zog seine buschigen roten Augenbrauen hoch empor
und fragte verwundert: »Ich???«
    »Ja Sie, was wollten Sie mit der
schändlichen Geschichte, die Sie vorgebracht haben?«
    »Erlauben Sie nur, verehrter Doge, das ist ein
ergreifendes Drama,
das ich gedichtet habe! Sie verletzen meine Dichtereitelkeit auf das
grausamste, wenn...«
    »Genug,« herrschte ihn der Marquis an.
»Es ist eine Feigheit von
Ihnen, zu leugnen, daß Ihre Geschichte nichts anderes als eine
elende
Anspielung auf Frau Fauvel war.«
    Der Bajazzo zog die Augenbrauen noch höher und
hörte offenen Mundes
zu, er sah ungeheuer einfältig aus – aber einen
Augenblick funkelte es
wie teuflische Bosheit aus seinen

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