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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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Getöse dahin.
    Gaston stand noch immer zögernd, was sollte er tun,
sollte er, angesichts der Gefahr, den Verfolgern in die Hände
zu fallen, zur Pistole greifen?
    Nein, noch nicht, er mußte noch ein Letztes zu seiner
Errettung versuchen – blieb ihm doch noch eines
übrig: sein Freund und Vertrauter: der Strom!
    Rasch, die geladenen Pistolen in den Händen, lief er
hin und trat auf einen kleinen, durch einen umgestürzten Baum
gebildeten Vorsprung, der etwa zwei bis drei Meter in den Strom
hineinragte; allerlei angeschwommene Gegenstände, Schlamm und
Erdreich hatten sich hier abgelagert und boten genug Raum, um den
Fuß darauf zu setzen. Aber unter dem Gewichte Gastons bog sich
der Baumstamm und sank tief ins Wasser.
    Indes waren die Verfolger von rechts und links herangekommen.
    »Ergeben Sie sich,« rief der
Anführer.
    Gaston antwortete nicht, er erwog die Möglichkeit
seiner Rettung, er dachte an Valentine, die gewiß in diesem
Augenblicke am Ufer hin und her irrte, den hochgeschwollenen Strom mit
Entsetzen anblickte und den Geliebten angstbebend erwartete.
    »Noch einmal,« rief der Anführer
der Gendarmen, »frage ich Sie: wollen Sie sich
ergeben?«
    Auch diesmal antwortete Gaston nicht, er hatte im Tosen und
Brausen des Stromes die Frage vielleicht gar nicht gehört,
auch war seine Seele weit weg. Ihm war, als stünde er vor den
Pforten der Ewigkeit und sein ganzes vergangenes Leben zog vor seinem
inneren Auge vorbei. Er gedachte des Vaters, Valentines und empfahl
Gott seine Seele.
    »Was zaudern wir noch?« sagte der Gendarm,
»herunter von den Pferden, er scheint auf uns zu warten, nun,
wir wollen ihn holen.«
    Aber während die Gendarmen absaßen,
schlenderte Gaston die Pistolen weg und sprang mit ausgebreiteten Armen
in die brausende Flut.
    Durch die Heftigkeit der Bewegung rissen die letzten Wurzeln,
die den alten Baum gehalten hatten, er drehte sich um sich selber und
wurde fortgeschwemmt.
    Die Verfolger schrien laut auf, ihre Beute war ihnen
entrissen, sie ärgerten sich, daß sie sich vergeblich
gemüht hatten und vielleicht empfanden sie auch –
uneingestanden einiges Mitleid mit dem unglücklichen
Jüngling.
    »Der ist verloren,« sagte einer der
Gendarmen, »gegen die Rhone, wenn sie einmal diese Miene
aufgesetzt hat, kämpft keiner an.«
    »Wenn wir einen Kahn hätten,
könnten wir ihn retten, weiß der Teufel, mir tut der
Bursche leid.«
    »Für ihn ist es besser so,« sagte
der Anführer, »oder glaubt ihr, daß ihm das
Schwurgericht lieber wäre?«

12. Kapitel
    Valentine wußte, daß Gaston nach Tarascon
gegangen war und um elf Uhr nachts über die Brücke zu
ihr kommen wollte, sie hatte sogar versprochen, ihm ein Stück
des Weges an der Rhone entgegenzugehen.
    Plötzlich gewahrte sie, als sie zufällig
gegen Clameran hinüberblickte, an den Fenstern wandernde
Lichter. Das beunruhigte sie, was mochte drüben geschehen
sein? Angsterfüllt starrte sie hinüber. Sie lehnte an
ihrem Fenster und horchte hinaus, aber nur das Rauschen und Brausen des
Stromes drang an ihr Ohr. Ihre Angst steigerte sich von Minute zu
Minute, aber wie ward ihr, als sie plötzlich das bekannte
Zeichen erblickte, das ihr Kunde brachte, daß der Geliebte
über die Rhone schwimmen wollte. Sie war starr vor Entsetzen
und wollte ihren Augen nicht trauen, endlich, nachdem das Zeichen
drüben dreimal gegeben worden, antwortete sie, ihrer Sinne
kaum mächtig, darauf.
    Was bedeutete das?
    Sie eilte in den Park, ans Ufer, kaum trugen sie ihre
Füße. Neues Entsetzen bemächtigte sich
ihrer, als sie am Ufer stand und die wild tosende Flut sah. Und Gaston
konnte auch nur einen Augenblick daran denken, durchzuschwimmen? Etwas
Fürchterliches, Unausdenkbares mußte geschehen sein!
    Sie war ans Ufer niedergesunken und starrte durch die
Dunkelheit hinab ins Wasser; bei jedem schwarzen Punkt glaubte sie
seinen Leichnam herangeschwemmt zu sehen und durch das Tosen und
Branden vermeinte sie Hilferufe zu hören.
    ***
    Gaston war sich, als er sich kopfüber in den Strom
gestürzt, der Gefahr wohl bewußt, allein er kannte
das feuchte Element und wußte, daß er eher dort, als
bei den Menschen Erbarmen finden konnte. Zuerst hatte ihn der Strudel
erfaßt und wirbelnd in die Tiefe gerissen, aber er kam wieder
an die Oberfläche empor und nun ließ er sich, um
seine Kräfte zu sparen, von der Strömung treiben, er
war nur bemüht, gegen das jenseitige Ufer zuzusteuern; dies

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