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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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erinnern und dieser Gedanke verhinderte ihn, den
Worten Valentines volle Aufmerksamkeit zu schenken, er ahnte den
tieferen Sinn, das Geheimnis seiner Geliebten nicht, sondern
ließ sich durch das »es ist nichts«
beschwichtigen.
    »Noch ist nicht alle Hoffnung verloren,«
sagte er, »mein Vater schien beim Abschied gerührt,
wenn ich außer Gefahr bin, will ich ihm schreiben, und er wird
sicherlich bei deiner Mutter für mich um dich werben.«
    »O, das darf er nicht, er würde sich der
Demütigung aussetzen, zurückgewiesen zu
werden.«
    »Warum? So groß kann ihr Haß
unmöglich sein!«
    »Vielleicht, aber sie erwartet durch mich, zu Glanz
und Ansehen zu kommen – dein Vater wäre ihr nicht
reich genug.«
    »Und solch einer Mutter willst du dich
opfern?«
    »Muß ich nicht? Das ist die Pflicht, die
Gott uns vorgeschrieben hat.«
    Gaston rang verzweiflungsvoll die Hände.
    »O, du hast mich nie geliebt, Valentine,«
rief er schmerzlich, »wenn du in dieser
gräßlichen Trennungsstunde den traurigen Mut hast,
Vernunftgründe vorzubringen. Ich liebe dich anders,
für mich hat das Leben ohne dich, ohne deine Liebe keinen
Wert. Ich bin eben erst wie durch ein Wunder dem Tode entronnen, aber
da du mich nicht liebst, so will ich sterben!«
    Und entschlossen schritt Gaston gegen den Strom.
    Aber Valentine umklammerte seinen Arm.
    »Das nennst du Liebe?« rief sie,
»du willst mir diesen Schmerz zufügen?
–«
    »Was bleibt mir übrig ...?«
    »Vertraue auf Gott, Gaston, in dessen Händen
unsere Zukunft ruht.«
    »Zukunft, sagst du! So glaubst du also, daß
es noch eine gemeinsame Zukunft für uns gibt? Ja? O, dann will
ich dir gehorchen und leben. Ja, ich will leben, kämpfen und
siegen! Gilt es doch, dich zu erringen! Reichtum begehrt deine Mutter?
Nun wohl, in drei Jahren, Valentine, komme ich als reicher Mann
zurück... Aber ehe ich gehe, will ich dir ein heiliges
Vermächtnis anvertrauen ...«
    Bei diesen Worten zog er den seidenen Beutel, in welchen sein
Vater das Geschmeide gelegt hatte, hervor und fuhr fort: »Es
ist der Schmuck meiner seligen Mutter, nimm ihn und betrachte ihn als
ein Pfand meiner Rückkehr. Wenn ich in drei Jahren nicht
wiederkomme, dann bin ich tot, dies Geschmeide aber behältst
du als Andenken an den, der dich bis zu seinem letzten Atemzuge lieben
wird.«
    Tränenden Auges nahm Valentine die Gabe entgegen.
    »Und jetzt habe ich noch eine letzte Bitte; sie
werden wohl alle meinen, daß ich in der Rhone umgekommen bin,
und das ist gut so, das sichert meine Rettung; aber meinen guten Vater
kann ich nicht der Verzweiflung preisgeben, versprich mir, daß
du morgen früh selbst zu ihm gehst und ihm sagst, daß
ich gerettet bin.«
    »Ich verspreche es dir.«
    »Danke, dann lebewohl.«
    Gaston beugte sich zu Valentine nieder, um ihr einen letzten
Kuß zu geben, aber sie hielt ihn noch zurück.
    »Wohin denkst du zu gehen?«
    »Nach Marseille, dort will ich mich bei einem Freund
so lange verborgen halten, bis eine Überfahrt möglich
ist.«
    »Und wie willst du nach Marseille kommen? Wie leicht
kannst du gesehen werden! Komm mit mir, ich habe einen Freund, den
alten Schiffer Menoul, er kann dich retten.«
    Sie gingen durch das Parktor hinaus und waren bald zur Stelle.
    »Vater Menoul,« sagte Valentine zu dem alten
Fährmann, »der Herr Graf ist gezwungen, heimlich
fortzugehen und möchte rasch ans Meer gelangen, um sich
einzuschiffen, könnten Sie ihn in Ihrem Boote bis zur
Mündung der Rhone bringen?«
    Der Alte schüttelte den Kopf.
    »Bei dem Wasserstand und in der Nacht ist das eine
Unmöglichkeit.«
    »Lieber Vater Menoul,« sagte Valentine mit
einschmeichelnder Stimme, »Sie würden mir einen
ungeheueren Dienst erweisen ...«
    » Ihnen ,
Fräulein? Ja, dann wird es wohl gehen.«
    Jetzt erst sah er Gaston aufmerksamer an und bemerkte,
daß er ganz durchnäßt und
barhäuptig war.
    »Kommen Sie, Herr Graf, mit mir in meine
Schlafkammer, ich habe von meinem Sohne, der Seefahrer ist, noch einige
Kleider in der Truhe, sie werden Ihnen passen und der Bauernanzug wird
eine gute Verkleidung für Sie sein.«
    Die Umkleidung war rasch geschehen und dann gingen alle drei
zum Strande hinab. Während der Alte sein Boot bereit machte,
umarmten sich die Liebenden noch ein letztes Mal.
    »Lebewohl, Gaston, lebewohl.«
    »Lebewohl, Valentine, auf Wiedersehen in drei
Jahren.«
    Sie konnten sich nicht voneinander losreißen, aber
der alte Fährmann

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