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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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Kammerdiener doch seine Furcht vor dem
strengen Gebieter, öffnete leise die Tür und fragte:
»Der Herr Marquis hat geläutet?«
    »Nein, du frecher Geselle, ich habe nicht
geläutet und du weißt es sehr wohl. Aber für
diesmal will ich dirs verzeihen. Geh und hole schnell Leinwand,
Wäsche und Kleider, dann wirst du den Herrn Grafen verbinden
und umkleiden.«
    Gastons Wunden waren weniger schlimm als er selbst geglaubt
hatte. All seine Verletzungen waren leichter Art, nur ein Messerstich
unter der Schulter war tiefer gegangen, hatte aber
glücklicherweise keine edleren Teile verletzt.
    Der Kammerdiener wusch und verband die Wunden mit
großer Geschicklichkeit und Gaston fühlte sich
erfrischt und wie neugestärkt.
    Nachdem sich der Diener entfernt hatte, fragte der Marquis:
»Du willst fliehen?«
    »Mir bleibt nichts anderes übrig,
Vater.«
    »Ja, gewiß,« nahm jetzt Louis das
Wort, »Gaston muß fort, wenn er bleibt, nehmen sie
ihn gefangen, er kommt vors Schwurgericht und –
–«
    »Und wird verurteilt, jawohl,« vollendete
der Marquis, »auch eine Errungenschaft der
›großen‹ Revolution! Ach, warum ist es
nicht mehr wie in alten Zeiten, da würden wir drei uns die
Lenden gürten, zu Pferde steigen, gegen Tarascon ziehen und
sie › mores ‹
lehren! Aber heutzutage muß ein Edelmann, der sein Recht
verteidigt, schmählich zur Flucht greifen ...«
    »Vater, die Zeit drängt ...« mahnte
Louis.
    »Du hast recht, aber, zur Flucht ins Ausland braucht
man Geld und ich habe fast nichts. Ich alter verschwenderischer Narr
habe nie hauszuhalten verstanden und nun muß mein armer Sohn
darunter leiden. Ich fürchte, es werden kaum hundert Louisdor
im Hause sein! Sieh nach, Louis.«
    Louis öffnete eine Schublade im Schreibtische, zu der
ihm der Vater den Schlüssel eingehändigt hatte, es
fanden sich 940 Frank in Gold.
    Der Marquis war in heller Verzweiflung: mit solch einem Bettel
konnte ein Clameran unmöglich in die weite Welt gehen! Er
versank in Gedanken und schien mit einem Entschluß zu ringen;
endlich befahl er Louis, ihm ein Kästchen aus getriebenem
Silber, das sich ebenfalls im Schreibtische befand, zu bringen. Er nahm
einen kleinen goldenen Schlüssel, den er an der Uhrkette trug,
öffnete das Kästchen und betrachtete den Inhalt mit
sichtlicher Rührung und Wehmut.
    Es war ganz mit Schmucksachen gefüllt.
    »Dieses Geschmeide gehörte eurer Mutter, ich
habe mich nie davon getrennt, seit ich sie, die edelste und beste der
Frauen, verloren habe – aber jetzt – –
nimm es, mein Sohn, die Mutter würde es dir gewiß
selber geben – es ist ungefähr
fünfzigtausend Frank wert – – nimm es und
Gott geleite dich.«
    Gaston wollte ablehnen, aber der Vater befahl ihm, es zu
nehmen und Louis mahnte zur Eile.
    Gaston sank tränenden Auges vor seinem Vater auf die
Knie und führte seine Hand an die Lippen.
    »Dank, Vater, tausend Dank, ich nehme deine Gabe und
hoffe, dir dereinst Rechenschaft darüber ablegen zu
können.«
    Der Marquis schloß seinen ältesten Sohn in
die Arme und beide weinten.
    Aber Louis drängte.
    »Es ist die höchste Zeit ...«
    »Er hat recht,« sagte der Marquis,
»geh, Gaston und nochmals, Gott segne dich.«
    Gaston erhob sich.
    »Ehe ich dich verlasse, Vater, habe ich noch eine
heilige Pflicht zu erfüllen. Ich muß dir ein
Geständnis machen: ich liebe Valentine von Laverberie
...«
    »O!« entfuhr es dem Marquis in
höchster Bestürzung.
    »Ich bitte dich kniefällig, Vater, wirb du
für mich bei der Gräfin um die Hand ihrer Tochter,
ich bin überzeugt, Valentine wird nicht zögern, mir
ins Ausland zu folgen, meine Verbannung zu teilen ...«
    Gaston hielt erschrocken inne, der Marquis war blaurot
geworden, er sah aus, als sollte ihn auf der Stelle der Schlag
rühren.
    »Um Gottes willen, Vater.«
    Aber der Alte hatte sich schon etwas erholt, es war nur der
Zorn, der ihn übermannte.
    »Niemals,« rief er,
»niemals.«
    »Sag' das nicht, Vater, denn sie wird und
muß mein Weib werden. Ich habe es geschworen, meine Ehre
hängt davon ab.«
    »Unsinn ...«
    »Ich habe ihr mein Wort gegeben und ich muß
es einlösen, verstehst du denn nicht, Vater, ich muß , wenn
ich nicht als ein Ehrloser erscheinen will. Weißt du, was sie
heute im Kaffeehause gesagt haben? Daß Valentine meine
Geliebte wäre und – – sie haben die Wahrheit gesagt!«
    Der Marquis horchte erstaunt auf, der Ausdruck seines
Gesichtes änderte

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