Die Akte Nr. 113
drängte – es
mußte geschieden sein.
Mit kräftiger Hand führte Vater Menoul sein
Boot mitten durch die Strömung und drei Tage später
befand sich Gaston auf dem amerikanischen Dreimaster »Tom
Jones,« der schon am nächsten Tage in die See stach.
Die Fahrt ging nach Valparaiso.
13. Kapitel
Unbeweglich und marmorblaß blickte Valentine dem
Fahrzeuge nach, das ihren Geliebten entführte, bis es in dem
Dunkel der Nacht völlig verschwunden war.
Jetzt, da Gaston fort war, jetzt erst brach sich ihr Schmerz,
ihre Verzweiflung gewaltsam Bahn, sie warf sich zu Boden und weinte
herzbrechend. Für sie war alles, alles zu Ende, der ganze
Hoffnungsschimmer, der Gaston beseelte, war für sie nicht
vorhanden, sie glaubte an kein Glück mehr, ihre Zukunft war
finster und gräßlich wie ein Abgrund.
Endlich raffte sie sich auf und schlug den Weg nach dem
Schlosse ein. Vorsichtig schlich sie sich in ihr Zimmer und
schloß sich sofort ein. Sie verbarg ihr
durchnäßtes beschmutztes Kleid und betrachtete lange
wehmütig das Geschmeide, das ihr Gaston als Andenken
zurückgelassen, ehe sie es in ein verborgenes Fach ihrer
Kommode legte.
Sie konnte in dieser Nacht keine Ruhe finden und erhob sich
mit Tagesanbruch. Schweres stand ihr bevor, sie mußte ihr
Versprechen einlösen und dem Marquis die Nachricht von der
Errettung seines Sohnes bringen.
Ihrem Dienstmädchen Milhonne gab sie den Auftrag, der
Mutter zu sagen – falls sie nach ihr fragen sollte
– daß sie in die Frühmesse gegangen
wäre, und da dies in der Tat öfter vorzukommen
pflegte, so fiel dem Mädchen der zeitige Ausgang ihrer jungen
Herrin nicht auf.
Valentine schritt kräftig aus und doch dauerte es
eine Stunde, bis sie die Brücke und eine zweite, bis sie
Schloß Clameran erreicht hatte.
Eben trat der Kammerdiener des Marquis aus dem Gittertor. Er
sah zerstört aus und seine Augen waren vom Weinen
gerötet. Sie kannte ihn vom Sehen, blieb stehen und wartete,
bis er näher käme, dann wollte sie ihn ansprechen.
Zu ihrer Verwunderung zog er nicht die Mütze, als er
an ihr vorüberkam, sondern fragte barschen Tones:
»Sie wollen doch nicht etwa zu uns, aufs Schloß,
Fräulein?«
»Ja,« antwortete sie kleinlaut.
»Wenn Sie etwa Herrn Gaston suchen, da
können Sie sich die Mühe sparen, mein junger Herr hat
das Leben lassen müssen wegen – wegen seiner
Geliebten.«
Der Diener sprach die letzten Worte im
verächtlichsten Tone und maß dabei das zitternde
junge Mädchen von Kopf bis zu Füßen.
Valentine erbleichte unter der Beleidigung, aber sie erwiderte
nichts.
»Ich muß den Herrn Marquis
sprechen,« sagte sie.
Der Kammerdiener zuckte zusammen.
»Dann brauchen Sie sich auch nicht weiter zu
bemühen, der Herr Marquis ist auch tot.«
»Tot,« rief Valentine entsetzt und
mußte sich an einen Baum lehnen, um nicht umzusinken.
Der Kammerdiener weinte, er war eine treue Seele und dem
Marquis, in dessen Diensten er seit vierzig Jahren stand, blind
ergeben, so sehr, daß er seine Neigungen und Abneigungen
vollkommen teilte. Er verabscheute daher auch die Familie Laverberie
und nun, da er Valentinen die Schuld an dem Tode seines jungen
Gebieters, den er über alle Maßen liebte,
beimaß, war seine Erbitterung aufs höchste gestiegen.
»Jawohl, tot,« sagte er nach einer Pause.
»Als man dem Herrn Marquis meldete, daß sein
ältester Sohn in der Rhone umgekommen sei, hat ihn der Schlag
gerührt und lautlos ist der große starke Mann
zusammengebrochen. Wir haben sofort den Arzt geholt, aber der Herr war
nicht mehr zu retten, wohl hat er noch das Bewußtsein erlangt
und mit Herrn Louis eine Weile allein gesprochen, aber bald trat der
Todeskampf ein – – sein letztes Wort war: wehe den
Laverberie!«
Mit einem einzigen Wort hätte Valentine den
Haß des treuen Dieners beschwichtigen, seinen Schmerz lindern
können, das eine Wort; Gaston ist gerettet, lebt; aber sie
glaubte den Geliebten zu gefährden, wenn sie das Geheimnis
verriete, nur seinem Bruder wollte sie es anvertrauen.
»Ich muß Herrn Louis sprechen,«
sagte sie.
»Das kann Ihr Ernst nicht sein,« versetzte
der Kammerdiener, »nach dem, was vorgefallen ist, werden Sie
es wohl nicht wagen, ihm vor Augen zu kommen. Überhaupt
möchte ich Ihnen raten, sich so rasch als möglich zu
entfernen – die Dienstboten bei uns sind nicht gut auf Sie zu
sprechen.«
Und ohne Gruß ging er raschen Schrittes fort.
Valentine war wie
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