Die Akte Nr. 113
sich plötzlich und in seinen Augen
funkelte eine boshafte Freude.
»So, so,« sagte er, »die
schöne Komtesse ist also deine Geliebte! Einer ihrer Vorfahren
hat eine unseres Geschlechts vom guten Wege abgebracht – nun
sind wir quitt!«
»Vater,« rief Gaston erregt, »du
vergißt, daß ich geschworen habe und daß ich
sie liebe!«
»Und ich sage dir,« entgegnete der Marquis
erzürnt, »daß ich niemals, hörst
du, niemals meine Einwilligung geben werde. Du weißt,
daß mir die Ehre meines Hauses teuer ist, aber lieber
möchte ich dich gefangen und verurteilt sehen, dich lieber im
Zuchthaus wissen, als daß ich je eine Laverberie als
Schwiegertochter empfange.«
»Es geschehe nach deinem Willen, Vater, ich bleibe,
man soll mich verhaften, mit mir machen, was man will! Das Leben hat
keinen Wert mehr für mich, nimm den Schmuck zurück,
ich bedarf seiner nicht.«
Ehe der Marquis antworten konnte, wurde die Tür mit
großer Heftigkeit aufgerissen, die ganze Dienerschaft
drängte sich schreckensbleich im Korridor und rief:
»Gendarmen! Gendarmen kommen!«
Bei diesem Worte richtete sich der Marquis auf – die
Aufregungen, die er eben erst durchgemacht hatte, ließen ihn
die Gichtschmerzen nicht mehr fühlen.
»Gendarmen,« rief er, »bei mir, auf
Clameran! Unerhört! Aber bei Gott, die Frechheit sollen sie
teuer bezahlen!«
»Ja, ja,« riefen die Diener,
»nieder mit den Gendarmen, fort mit ihnen!«
Louis hatte seine Kaltblütigkeit nicht verloren.
»Es wäre Wahnwitz, sich den Gendarmen
widersetzen zu wollen,« sagte er. »Wenn wir sie jetzt
vertreiben, so kommen sie verstärkt wieder. – Wo
sind sie?«
»Am Gittertor,« sagte einer der Diener.
»Dann fliehst du durch den
Gemüsegarten,« wendete sich Louis an seinen Bruder.
»Verzeihung,« sagte ein anderer Diener,
»aber sie bewachen auch die hintere Parktür, ich
glaube, sie haben sogar längs der Parkmauer Aufstellung
genommen und umzingeln uns förmlich, es muß ein
ganzes Regiment ausgerückt sein.«
»O Gott, dann ist die Flucht
unmöglich,« rief der Kammerdiener jammernd.
»Donnerwetter, das wollen wir sehen!« rief
der Marquis, dem der Augenblick der Gefahr seine ganze Geistesfrische
und Tatkraft verlieh. »Wenn wir auch in der Minderzahl sind,
so vermögen wir sie doch zu überlisten. Hört
mich an. Du, Louis, gehst mit dem Reitknecht in den Stall, ihr besteigt
die beiden besten Pferde und nehmt noch jeder eins am Zügel;
dann stellt ihr euch so geräuschlos als möglich, du,
Louis, bei der Parktür und du, Johann, beim Gittertor auf, ihr
übrigen aber beobachtet ebenfalls die beiden
Ausgänge. Beim Signal, das ich durch einen
Pistolenschuß geben werde, müßt ihr die Tore
gleichzeitig öffnen, Louis und Johann lassen ihre Handpferde
los und sprengen nach, damit die Gendarmen hinter ihnen
dreinjagen.«
»Die sollen rennen,« sagte der Reitknecht,
»dafür will ich sorgen!«
»Unterdessen wirst du,« wandte sich der
Marquis an den Kammerdiener, »dem Herrn Grafen helfen,
über die Mauer zu klettern, ihr geht dann an dem Flusse
entlang bis zur Hütte des alten Fährmanns Peter, er
ist ein braver Mensch und uns ergeben, er wird dich, mein Sohn, in
seine Barke nehmen und – einmal auf der Rhone –
hast du nur Gott zu fürchten! Habt ihr mich alle verstanden?
Nun, dann ans Werk!«
Als alle sich entfernt hatten und der Marquis mit seinem
ältesten Sohne allein geblieben war, öffnete er die
Arme und sagte mit zitternder Stimme: »Komm, komm, mein Kind,
daß ich dich umarme und segne.«
Gaston zögerte.
»Komm,« sagte der Vater noch weicher.
»Rette dich, Gaston, rette deinen Namen ... und dann ... du
weißt, wohl, daß ich dich liebe und dir noch keine
Bitte versagt habe.«
Gaston stürzte in des Vaters geöffnete Arme
und sekundenlang hielten sie sich wortlos umschlungen.
Aber der Lärm vor dem Tore wurde immer lauter,
bedrohlicher.
Der Marquis riß sich los.
»Da, nimm die Kleinodien,« sagte er, indem
er das Päckchen mit dem Schmuck, das Gaston früher
auf den Tisch gelegt hatte, ergriff und es dem Sohne reichte,
»nimm und nun rasch fort. Aber – noch
eins,« fügte er leiser hinzu, indem er von einem
Waffengestell zwei Pistolen nahm und sie Gaston abgewandten Gesichtes
reichte – – »Man darf dich nicht lebend
bekommen, Gaston – geh, und Gott segne dich.«
Der Kammerdiener hatte Gaston vor der Tür erwartet
und wollte nun mit ihm so rasch als möglich
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