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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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Gelegenheiten lernte auch die Gräfin den jungen Mann,
der sich André Fauvel nannte, kennen, und bald hatte sie mit
ihren scharfen Augen die Entdeckung gemacht, daß Valentine ihm
zu gefallen schien. Diese Entdeckung entzückte sie, da sie
gehört hatte, daß der Ingenieur vermögend
sei. Die schon begrabene Hoffnung auf einen Schwiegersohn lebte wieder
auf und sie beschloß, den schüchternen jungen Mann
nach Möglichkeit zu ermuntern. In der Tat war sie ihm
gegenüber die Liebenswürdigkeit in Person. Freilich
war er nicht von Adel – aber – ihre
Geldverlegenheit war groß und, rasch entschlossen, lud sie
André Fauvel zu einem Besuche ein.
    Er war überglücklich, die schönen
traurigen Augen Valentines hatten es ihm wirklich angetan, nur zeigte
sich das junge Mädchen so zurückhaltend, daß
er es nie gewagt haben würde, seine Bewerbung vorzubringen.
Nun aber kam ihm die Mutter mit solcher Freundlichkeit entgegen,
daß er hoffen durfte.
    Sie empfing ihn das erste Mal allein. Sie hatte eben mit einem
Geldverleiher einen unangenehmen Auftritt gehabt und war noch in voller
Aufregung, als der junge Mann kam.
    Sie klagte über das Los alleinstehender Frauen, wie
die bösen Menschen ihre Unkenntnis in Geldangelegenheiten
benützten, um sie auszubeuten und zu betrügen. Sie
stellte sich selbst als ein solches Opfer hin und betonte scheinheilig,
daß ihr ihre bedrängte Lage nicht um ihrer selbst
willen, sondern nur wegen ihrer geliebten Tochter qualvoll sei, denn
wie könne sie bei diesen schlechten Zeiten hoffen, das
Mädchen ohne Mitgift zu verheiraten.
    »Das Fräulein besitzt Eigenschaften genug,
um einen Mann zu beglücken,« beeilte sich der
Ingenieur zu sagen, »um sie zu besitzen, verzichtet man gerne
auf jede Mitgift.«
    »Das wäre ja recht schön, wenn es
einen so seltenen Vogel wirklich gäbe,« meinte die
Gräfin, »allein der Mann, dem ich das Glück
meines einzigen Kindes anvertrauen würde,
müßte mehr tun – – Laverberie ist
überschuldet.«
    »Der Mann, den ich meine,« antwortete Andre
Fauvel, »ist glücklicherweise reich genug, um das Gut
von Lasten frei zu machen, auch würde er sich
selbstverständlich glücklich schätzen, der
Mutter seiner geliebten Frau ein sorgenfreies Leben zu
bereiten.«
    »Das müßte aber notariell
sichergestellt werden,« sagte sie, »ich
könnte meine Tochter keinem Manne geben, der nicht so gestellt
ist, daß sie keine materiellen Sorgen hat.«
    Fauvel schämte sich ein wenig für seine
künftige Schwiegermutter.
    »Der Ehevertrag könnte auch diese Frage
regeln,« antwortete er.
    Weiter wurde über diese Angelegenheit nichts mehr
gesprochen, als sich aber der junge Ingenieur einige Minuten
später erhob, um sich zu verabschieden, reichte sie ihm mit
freundlichem Lächeln die Hand und lud ihn für den
nächsten Tag zum Mittagessen ein.
    Die Gräfin war seit langem nicht so vergnügt
gewesen. Nun war sie mit einem Schlage aller Sorgen ledig. Das junge
Paar würde natürlich in Paris leben und sie als
liebende Mutter würde die Wintermonate bei ihnen verbringen
und endlich das Leben ein bißchen genießen
können!
    Plötzlich aber kam ihr der Gedanke, daß
Valentine eigentlich auch gefragt werden müsse. Und wenn sie
sich weigert? Die Gräfin erschrak bei dieser Vorstellung, doch
faßte sie sich sogleich, sie war nicht die Frau, der man sich
widersetzt, das wußte Valentine.
    Daher begab sie sich sogleich auf das Zimmer ihrer Tochter und
sagte ohne Vorbereitung: »Liebes Kind, ein junger Mann hat
sich bei mir um dich beworben, und da gegen ihn nichts einzuwenden ist,
so habe ich ihm deine Hand zugesagt.«
    Bei dieser Eröffnung sprang Valentine entsetzt von
ihrem Sitze empor.
    »Das ist unmöglich, Mutter,«
hauchte sie.
    »Unmöglich, was soll das
heißen?«
    »Vergißt du, Mutter ... oder hast du' ihm
alles gestanden?«
    »Gestanden? Was? ... du meinst doch nicht die
vergangenen Torheiten? Gott bewahre, du hältst mich doch nicht
für verrückt?«
    »Aber Mutter,« entgegnete Valentine
empört, »du glaubst doch nicht, daß ich so
schlecht bin und einen anständigen Mann auf diese Weise
betrügen würde? Das wäre ja eine
Niedertracht.«
    Die Gräfin wollte, ehe sie zu Gewaltmitteln griff, es
mit der Milde versuchen. Sie schilderte ihrer Tochter die entsetzliche
materielle Lage, in der sie sich befanden.
    »Man wird mich von Haus und Hof verjagen und ich
werde betteln gehen müssen,« sagte

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