Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
Vom Netzwerk:

gestürzt habe, um seinen Verfolgern nicht in die
Hände zu fallen.
    Die Diener waren erschüttert und keiner hatte den
Mut, dem Marquis die Hiobsbotschaft zu überbringen ...
    Louis aber war gefühllos. Das schreckliche Ende
seines Bruders erschütterte ihn nicht, ihn durchzuckte nur der
eine Gedanke: »Nun bin ich der einzige Sohn und
Erbe!« Und wie Triumph blitzte es in seinen Augen auf. Und was
keiner wagte, unternahm er, er ging zu seinem alten Vater und sagte
ohne Vorbereitung: »Gaston hatte die Wahl zwischen Ehre und
Leben, er hat gewählt – er ist tot.«
    Bei dieser Eröffnung war der Marquis ohne einen Laut
umgestürzt, wie ein vom Blitz getroffener Eichbaum.
    Tränenlos stand Louis am Totenbette seines Vaters.
    Nun war er der Herr.
    Der Vater hatte ihn immer so knapp gehalten, daß er
keine fünfzig Frank je in der Tasche gehabt, und jetzt war er
Marquis von Clameran, frei, und besaß ein Barvermögen
von 200 000 Frank.
    Dieser plötzliche Reichtum entzückte ihn
derart, daß er es kaum erwarten konnte, ihn zu
genießen. Er beschleunigte das Leichenbegängnis so
sehr als es nur anging und erregte durch sein fast heiteres Benehmen
allgemeines Ärgernis. Kaum war die letzte Erdscholle auf den
Sarg seines Vaters gefallen, als er im Schlosse alles verkaufte, was
sich verkaufen ließ.
    Am nächsten Morgen entließ er die gesamte
Dienerschaft; die armen Leute, die in dem Dienste des alten Marquis
ergraut waren und gehofft hatten, ihre Tage unter dem Dache Clameran
beschließen zu können, wurden trotz ihrer Bitten und
Tränen von ihm auf die roheste und unbarmherzigste Art
fortgeschickt.
    Dann begab er sich nach Paris.
    Er dürstete danach, das Leben zu genießen.
Er stürzte sich in den Strudel wildester Vergnügungen
und in kürzester Zeit war seine Barschaft vergeudet. Er
schrieb an seinen Notar wegen des Verkaufes seiner Güter, aber
auch der Erlös dafür war bald unter seinen
Händen zerronnen. – Ihm blieb nichts mehr als
Schloß Clameran, für das sich aber augenblicklich
kein Käufer fand, das nichts eintrug, ja sogar dem Verfalle
nahe war.
    Louis war, so lange er Mittel besessen, ein ebenso
kühner als glücklicher Spieler gewesen, als er sich
nun plötzlich mittellos sah, glaubte er im Bakkarat eine
sichere Einnahmequelle zu finden, allein das Blatt hatte sich gewendet,
das Glück war ihm nicht günstig – da wollte
er es erzwingen. Bald munkelte man im Klub, daß er ein
Falschspieler sei und um einem Skandal zuvorzukommen, wurde er einfach
ausgeschlossen. Nun ging es mit ihm im beschleunigten Tempo bergab. Da
sich seine Standesgenossen von ihm losgesagt hatten, trieb er sich in
der verrufensten Gesellschaft herum und war auch in eine
betrügerische Erpressungsgeschichte verwickelt. Daß
er damals nicht gefänglich eingezogen und vor Gericht gestellt
worden, verdankte er nur einem alten Freunde seines Vaters, einer
einflußreichen Persönlichkeit, dem Grafen von
Commarin, der, um die Ehre des Namens Clameran zu retten,
veranlaßte, daß die Angelegenheit vertuscht wurde. Er
gab Louis die Mittel nach England zu gehen, um dort ein neues Leben zu
beginnen. Louis aber setzte in London nur sein altes Spielerleben fort
und als ihm der Boden zu heiß wurde, verschwand er, um
anderswo wieder aufzutauchen. So trieb er sich in allen
Großstädten Europas herum und kehrte endlich nach
achtzehnjähriger Abwesenheit nach Frankreich zurück.
    Sein erster Weg galt der Heimat. Er wollte Schloß
Clameran besichtigen, vielleicht fand sich doch noch ein
Käufer dafür.
    Von Tarascon legte er den Weg nach Clameran zu Fuß
zurück. Vieles hatte sich in der Gegend geändert, nur
das Dörfchen mit dem schiefen alten Kirchturme, dem
rebenumrankten Pfarrhaus, der rußigen Schmiede und dem
freundlichen Wirtshause mit dem großen Olivengarten war
unverändert geblieben.
    Unwillkürlich überschlich ihn ein
eigentümliches Gefühl, war's Wehmut, war's
Rührung? Er, der für weichere Regungen sonst nur
Spott hatte, fühlte sich weich werden bei der Erinnerung an
seine Jugend. Damals war ihm das Leben verheißungsvoll
erschienen, er lechzte nach Genüssen – nun kannte er
das Leben, hatte es in vollen Zügen genossen, er hatte sein
Vermögen, seine Ehre verloren, nichts war ihm geblieben, als
der Ekel – er war müde und gebrochen.
    Ehe er sich auf sein väterliches Schloß
begeben konnte, mußte er erst die Schlüssel, die der
alte Kammerdiener Anton,

Weitere Kostenlose Bücher