Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
Vom Netzwerk:
als die törichte Liebelei
eines jungen Mädchens. Ich verlasse Sie jetzt und werde erst
in drei Tagen wiederkommen, um Ihre Antwort zu holen.«
    »Bemühen Sie sich nicht, Herr Marquis,
sobald mein Mann nach Hause kommt, erfährt er alles.«
    Jetzt war Clameran ernstlich besorgt, wie kam die schwache
Frau zu soviel Widerstandskraft? Aber er ließ sich von seinen
wahren Gefühlen nichts anmerken, machte eine
förmliche Verbeugung und sagte: »Ganz wie Sie wollen,
doch hoffe ich in Ihrem Interesse, daß die Vernunft siegen
wird.«
    Und er ging.
    Aber Frau Fauvels Entschluß stand diesmal
unerschütterlich fest.
    »Nein,« rief sie, »keine
sogenannten Vernunftgründe mehr, ich sage André
alles!«
    Da schrak sie plötzlich zusammen, ihr war's, als habe
sie Schritte hinter sich vernommen, sie wandte sich jäh und
starrte entsetzt ihrer Nichte entgegen.
    Magda war totenbleich und Tränen glänzten in
ihren Augen.
    Angrenzend an den Salon befand sich ein kleines Lesezimmer,
das nur durch einen leichten Vorhang abgeschlossen war, in diesem
Nebenraume hatte sich das junge Mädchen befunden.
    »Wir müssen dem Marquis gehorchen,
Tante,« sagte sie leise.
    »Um Gottes willen, du hast gehört
...?«
    »Ja, Tante, alles. Verzeihe, ich weiß,
daß es unrecht war, als ich aber meinen Namen nennen
hörte, blieb ich unwillkürlich und dann war es zu
spät ... Aber es ist besser, daß ich alles
gehört habe, denn – nun kenne ich meine
Pflicht.«
    »Unglückselige, du willst damit doch nicht
sagen ...«
    »Daß ich den Marquis heiraten
werde.«
    »Aber Kind, das Opfer darf ich nicht zugeben, du
kannst den Marquis unmöglich lieben!«
    »Ich hasse und verabscheue ihn, aber das darf mich
nicht hindern, seine Frau zu werden.«
    »Und Prosper ...?«
    Magda bekämpfte die Tränen, die neu in ihr
aufsteigen wollten und antwortete: »Ich werde heute noch mit
ihm brechen.«
    »Nein,« rief die Tante, »nimmermehr
gebe ich zu, daß du, Unschuldige, dich für mich
aufopferst.«
    »Tante,« entgegnete das edle junge
Mädchen, »dir verdanke ich alles, du hast dich meiner
erbarmt, als ich hilflos und verlassen gewesen, du warst mir Mutter,
deine Söhne sind meine Geschwister, dein Haus das meine. Und
ich soll nun zugeben, daß Schmach und Unglück unter
das Dach einzieht, wo ich soviel Wohltaten empfangen, wo ich so
glücklich gewesen, ich soll es zugeben, wo es in meine Hand
gegeben ist, es abzuwenden? Nein, Tante, es ist kein Opfer, das ich dir
bringe, es ist eine heilige Pflicht, die ich erfülle.«
    »Nein, nein,« stöhnte die
unglückliche Frau, »ich werde dich, Engel, dem
Schurken nicht ausliefern.«
    »Vergißt du den guten Onkel? Denke an seinen
Schmerz, wenn er die Wahrheit erführe ... er stürbe
daran ... Und deine Kinder ... vergißt du sie ...?«
    Frau Fauvel weinte und ihr Widerstand wurde schwächer.
    »Aber, armes Kind, was für ein Leben
hättest du an der Seite dieses Mannes!«
    »Es wird vielleicht nicht so schlimm sein, wie du
denkst, Tante,« antwortete Magda und heuchelte eine
Zuversicht, die ihr fern war, »er sagt ja, daß er
mich liebt – er wird gewiß gut gegen mich sein. Ich
fürchte nur eins, Tante ... aber ich wage nicht, es zu sagen
...«
    »Sprich immerhin; du glaubst, ich habe noch etwas zu
befürchten?«
    »Ja, ich glaube nicht an die Aufrichtigkeit des
Marquis, seine Entrüstung über Raoul kam mir gemacht
vor, ich halte das Ganze für eine zwischen ihnen abgekartete
Komödie.«
    Wohl fielen Frau Fauvel ihre eigenen Wahrnehmungen bei dem
Streit zwischen Raoul und dem Marquis ein, aber ihre Mutterliebe
verblendete sie, sie wollte an die Schlechtigkeit ihres Sohnes nicht
glauben.
    »Nein, nein,« sagte sie, »du irrst
dich, Raoul ist leichtsinnig, aber er ist nicht schlecht und er liebt
mich wirklich, wenn du sehen könntest, wie zerknirscht er ist,
wenn ich ihm Vorwürfe mache ...«
    »Gebe der Himmel, daß du recht habest, liebe
Tante, dann wird meine Heirat nicht vergeblich sein. Wir wollen also
sofort dem Marquis schreiben.«
    Frau Fauvel erschrak. »Wozu sofort, wir
können warten, Zeit gewinnen.«
    Diese Worte waren für die schwache Frau
höchst bezeichnend: immer unschlüssig,
zögernd – ihr ganzes unglückliches
Schicksal war nur die Folge ihrer Charakterschwäche.
    Magda aber war eine entschlossene, energische Natur.
    »Es ist besser, die Sache sofort ins reine zu
bringen, es muß ein Ende gemacht werden, damit du zur Ruhe

Weitere Kostenlose Bücher