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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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kommst. Sieh dich nur an, arme Tante, was die Sorgen aus dir gemacht
haben, du hast dich so verändert, daß es ein Wunder
ist, wenn der Onkel nicht endlich aufmerksam wird.«
    In der Tat war Frau Fauvel nur mehr der Schatten ihrer selbst;
sie, die noch vor wenigen Monaten die Schönheit einer
vollerblühten Rose besessen, sah jetzt welk und alt aus. Ihre
Stirn war gefurcht, ihre Augen eingesunken, ihr wundervolles Haar von
Silberstreifen durchzogen.
    Frau Fauvel seufzte tief auf, als sie sich in dem Spiegel, den
ihr Magda vorhielt, erblickte.
    »Tröste dich, Tantchen,«
schmeichelte das junge Mädchen liebevoll, »bist du
nur erst deiner Sorgen ledig, dann wirst du wieder neu
erblühen.
    Am nächsten Tag erhielt der Marquis von Clameran
einen Brief von Frau Fauvel, in welchem sie ihm mitteilte, daß
sie in seine Vorschläge einwillige und nur um etwas Zeit
bitte, da Magda nicht so schnell mit Herrn Bertomy brechen
könne, auch die Einwilligung Herrn Fauvels erst gewonnen
werden müsse.
    Aber Magda wollte auch in diesem Punkte nichts von
Verzögerung wissen. Noch am selben Abend hatte sie eine
Unterredung mit Prosper. Sie bat ihn, auf sie Verzicht zu leisten und
rang ihm das Versprechen ab, sie meiden zu wollen. Auch die
Verantwortlichkeit für den Bruch sollte er auf sich nehmen.
    Er bat und beschwor sie, ihm die Gründe bekannt zu
geben, aber sie antwortete nur, daß ihre Ehre und ihr
Glück auf dem Spiele stünden und von seinem Gehorsam
abhingen.
    Prosper ging, im Innersten gebrochen, und der Marquis erschien
auf der Bildfläche. Er erklärte, daß er sich
gern gedulden wolle, er wüßte wohl, daß er
erst die Zuneigung des Herrn Fauvel gewinnen müsse, setzte er
ironisch hinzu.
    Innerlich war er überzeugt, daß der
Augenblick, wo Frau Fauvel selbst die Heirat beschleunigen
würde, nicht mehr fern sein konnte. Raoul sorgte
dafür, daß die Ebbe in ihrer Kasse immer mehr zunahm.
Er hatte jetzt jede Scham abgestreift und die Heuchelei fallen
gelassen, er besuchte die Mutter nur, wenn er Geld brauchte und
forderte es in brutaler Weise.
    Eines Tages fand bei dem Bankier eine große
Gesellschaft statt, zu der auch der Marquis geladen war.
    Bei dem Diner wandte sich Herr Fauvel Plötzlich zu
Clameran und fragte: »Ich möchte Sie um eine Auskunft
bitten, Herr Marquis; haben Sie Verwandte Ihres Namens?«
»Nicht das ich wüßte.«
    »Ich kenne seit acht Tagen einen anderen Marquis von
Clameran.«
    So sehr Louis auch mit Frechheit gepanzert war, so verlor er
doch einen Augenblick die Fassung, er erbleichte und nur mit
großer Willensanstrengung gelang es ihm, eine Entgegnung zu
finden.
    »Der Marquistitel ist da auf alle Fälle
etwas verdächtig,« sagte er.
    »Marquis oder nicht,« versetzte der Bankier
heiter, »jedenfalls besitzt der Mann die Mittel, den Adeligen
zu spielen.«
    »Ist er reich?«
    »Ich habe Grund, es anzunehmen, da ich von einem
Reeder in Havre den Auftrag erhielt, ihm für die Fracht eines
brasilianischen Schiffes 400 000 Frank auszuzahlen.«
    »Da kommt er wohl aus Brasilien?«
    »Ich weiß es nicht, aber wenn es Sie
interessiert, kann ich Ihnen seinen ganzen Namen sagen.« Er
zog sein Notizbuch hervor, blätterte darin und sagte:
»Er nennt sich Gaston, Marquis von Clameran.«
    Louis hatte indes Zeit gehabt, sich zu sammeln, er zuckte mit
keiner Wimper, als der Name Gaston an sein Ohr schlug und sagte
leichthin: »Ah, jetzt finde ich mich zurecht, Gaston
hieß ein Vetter von mir, die Tante, meines Vaters Schwester,
hat nach Havanna geheiratet; als ich noch ein Kind war, besuchte uns
die ganze Familie einmal und blieb über ein Jahr auf
Schloß Clameran. Bei seiner Rückkehr nach Frankreich
hat mein Neffe offenbar den Namen seiner Mutter angenommen, der
jedenfalls besser klingt als der seines Vaters, welcher, wenn ich mich
recht entsinne, Moriot oder Boiriot hieß.«
    »Nun, ich denke, Sie werden bald Gelegenheit haben,
sich zu überzeugen, ob es Ihr Vetter ist,« antwortete
Fauvel, »sobald er nach Paris kommt, werde ich ihn zu Tisch
einladen und Sie ebenfalls bitten, unser Gast zu sein.«
    Clameran verneigte sich.
    »Es wäre mir wirklich angenehm, seine
Bekanntschaft zu machen oder zu erneuern,« antwortete er.
    Das Gespräch wandte sich anderen Dingen zu und
Clameran schien an die Mitteilung gar nicht mehr zu denken.
    Weit bestürzter als er waren Frau Fauvel und Magda;
bei der Nennung des Namens Gaston hatten sie einen Blick

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