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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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was kann ich tun, ich sehe ihn ja viel zu
selten.«
    »Das ist's eben, Raoul entbehrt den Segen einer
geordneten Häuslichkeit, eines glücklichen
Familienlebens.«
    »Ach, ich kann es ihm nicht verschaffen.«
    »Sie können es, hören Sie mich an,
ich habe einen Plan entworfen. Sie werden Raoul bei sich
empfangen.«
    Frau Fauvel entsetzte sich. Ihre ganze Ehrlichkeit
bäumte sich dagegen auf.
    »Das geht nicht, das geht nicht,« sagte sie.
    »Und doch ist es die einzige Möglichkeit,
Raoul zu retten. Ich sagte Ihnen ja schon, daß ich einen Plan
habe, der Ihnen die Sache leicht machen soll. Besitzen Sie nicht in
Saint-Remy eine nahe Verwandte?«
    »Ja, meine Base von Lagors.«
    »So ist es, und diese Base, die sich in
mißlichen Verhältnissen befindet, lebt von Ihrer
Unterstützung.«
    »Wie,« rief Frau Fauvel verwundert,
»das wissen Sie?«
    »Ich weiß noch mancherlei. Ich weiß
zum Beispiel, daß Ihr Mann Ihre Verwandten in der Provence
nicht kennt und wahrscheinlich von dieser Base keine Ahnung hat. Darauf
ist mein Plan gebaut. Dieser Tage erhalten Sie einen Brief aus
Saint-Remy, worin Ihnen Ihre Cousine schreibt, daß sie ihren
Sohn nach Paris schickt und Sie bittet, sich des Jünglings
freundlich anzunehmen. Diesen Brief zeigen Sie Ihrem Manne ...«
    »Niemals,« rief Frau Fauvel empört.
»Und meine Cousine würde sich auch niemals zu solch
schmählicher Komödie hergeben. Übrigens hat
sie gar keinen Sohn, nur zwei Töchter.«
    »Da Ihr Mann von der Existenz der Cousine keine
Ahnung hat, bleibt es sich vollkommen gleichgültig, ob ein
Sohn in Wirklichkeit existiert, oder nicht. Übrigens habe ich
gar nicht gesagt, daß die Cousine ins Vertrauen gezogen werden
muß. Den Brief werde ich besorgen und durch eine
Vertrauensperson in Saint-Remy zur Post geben lassen. Ihre Verwandte
wird also gar nichts wissen; übrigens, selbst wenn sie
zufällig etwas erführe – was aber
höchst unwahrscheinlich ist – sie ist Ihnen viel zu
sehr verpflichtet, um die Verräterin zu spielen –
nichts hindert Sie ...«
    Frau Fauvel hatte sich, außer sich vor
Entrüstung erhoben.
    »Und Sie glauben, daß ich je in dieses
Verbrechen einwilligen würde?«
    Auch Clameran hatte sich erhoben.
    »Ehe Sie von Verbrechen reden,« sagte er
kühl, »bitte, denken Sie an Ihre Vergangenheit. Sie
hatten als junges Mädchen ein Kind, haben dieses unschuldige
Geschöpf schnöde verlassen, haben auch keine Skrupel
gehabt, sich mit einem ehrenwerten Mann, der keine Ahnung von Ihrem
Vorleben hatte, zu verbinden! – Und da wollen Sie
plötzlich die Tugendhafte, Ehrliche hervorkehren und von
›Verbrechen‹ reden! Sie haben Gaston zugrunde
gerichtet und nun weigern Sie sich, den Sohn zu retten! Aber bei meiner
Ehre, das dulde ich nicht – oder Sie sollen nicht
länger vor der Welt im unverdienten Ansehen stehen!«
    Louis halte die letzten Worte drohenden Tones mit verhaltener
Heftigkeit gesprochen, und die unglückliche Frau Fauvel war
niedergeschmettert, vernichtet. Seine Anklagen hatten sie wie
Keulenschläge getroffen, ihr Widerstand war gebrochen.
    »Ich werde gehorchen,« sagte sie
zerknirscht. Und in der Tat, acht Tage später war Raoul als
Neffe erschienen und war von nun an täglicher Gast im Hause
Fauvel.

16. Kapitel
    André Fauvel hatte den Neffen seiner Frau, von dem er
bisher nie etwas gehört hatte, auf das herzlichste
aufgenommen, und da der junge Mann sehr einnehmende Manieren
besaß, heiter und geistreich war, so gewann er rasch die
Freundschaft der Söhne Fauvels und Prospers; letzterer war
besonders von ihm bezaubert.
    Als Valentine sah, wie alle im besten Einvernehmen lebten und
welch wohltätigen Einfluß der Umgang ihrer
Söhne auf Raoul hatte, atmete die unglückliche Frau
wieder auf und sie freute sich fast, dem Marquis gehorcht zu haben.
    Aber die Freude währte nicht lange. Raoul, der bisher
sich in Geldsachen unendlich zartfühlend gezeigt hatte, trat
jetzt mit immer neuen Forderungen an sie heran, er behauptete, er
könne hinter seinen beiden »Vettern« nicht
zurückbleiben; die allerdings hätten das
Glück, einen reichen Vater zu besitzen, während er
–! Er vollendete den Satz nicht und kränkte die
unglückliche Frau durch diese Andeutung nur noch mehr.
    Zuerst freilich hatte sie mit Freuden und ohne zu
zählen gegeben, aber endlich sah sie ein, daß sie
sich ins Verderben stürzen müßte, wenn sie
in ihrer Freigebigkeit nicht einhielt.
    Ihr

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