Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)
darauf?«
Der Anwalt nickte lächelnd.
»Ganz recht. Vierzehntes Jahrhundert übrigens«, sagte er. »In Ordnung, Kolb. Sie waren in Flossenbürg. Und jetzt erzählen Sie mir, wie Sie sich dann durchgeschlagen haben.«
»Ja, also, das war auf dem Marsch, als wir uns auflösten. Ich traf einen versprengten Landser, dem hab ich eins über den Kopf gegeben und mir dann seine Uniform angezogen. Zwei Tage später haben mich die Amis geschnappt. Ich war zwei Jahre in einem Kriegsgefangenenlager und habe denen einfach gesagt, ich bin Soldat der Wehrmacht. Na ja, Herr Doktor, Sie wissen ja, wie das damals war, mit den Gerüchten, daß die Amis SS-Leute abknallten und so. Ich habe immer wieder gesagt, ich bin Wehrmachtsangehöriger.«
Der Anwalt stieß Zigarrenrauch aus.
»Da waren Sie nicht der einzige, der das getan hat. Haben Sie Ihren Namen gewechselt?«
»Nein, Herr Doktor. Ich habe mein Soldbuch weggeworfen, weil es mich als SS-Angehörigen auswies. Aber ich habe mir gedacht, nach einem Wehrmachtfeldwebel werden sie nicht suchen. Von der Sache mit Canaris war damals kaum die Rede. Die wurde erst viel später hochgespielt, als sie anfingen, aus der Verschwörung eine große Sache zu machen und den Raum da in Berlin, wo die Drahtzieher aufgehängt wurden, zu einer Gedenkstätte herzurichten. Aber da hatte ich schon richtige Papiere auf den Namen Kolb und alles. Und es wäre ja auch nie was nachgekommen, wenn der Krankenpfleger mich nicht erkannt hätte. Und danach wäre es egal gewesen, wie ich mich genannt hätte.«
»Stimmt. Gut, dann lassen Sie jetzt mal hören, ob Sie von dein, was Ihnen einmal beigebracht wurde, noch etwas im Kopf behalten haben. Fangen wir mit dem Treue-Eid auf den Führer an. Wie lautete der?« fragte der Anwalt.
So ging es noch zwei Stunden lang weiter. Miller schwitzte, konnte aber darauf hinweisen, daß er das Krankenhaus vorzeitig verlassen und den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte. Die Mittagszeit war vorüber, als der Anwalt sich endlich zufriedengab.
»Und die Hilfe, die Sie sich nun von mir erhoffen – wie hatten Sie sich die vorgestellt?« fragte er Miller.
»Tja, Herr Doktor, die Sache ist die, daß ich jetzt, wo die alle hinter mir her sind, dringend andere Papiere brauche. Ich kann mein Aussehen verändern, ich meine, ich könnte mir zum Beispiel die Haare und den Bart länger wachsen lassen und in Bayern oder woanders Arbeit finden. Ich bin Bäcker, und Brot brauchen die Menschen nun mal, stimmt’s?«
Zum erstenmal seit Beginn des Verhörs warf der Anwalt den Kopf zurück und lachte.
»Ja, mein lieber Kolb, da haben Sie allerdings recht. Brot brauchen die Menschen immer. Also nun hören Sie mir mal gut zu. Normalerweise stellen die Leute, die es wert sind, daß eine Menge kostbarer Zeit und Mühe auf sie verwendet wird, im Leben etwas mehr dar als Sie. Da Sie aber offenkundig ohne eigenes Verschulden in Schwierigkeiten geraten und zweifellos ein guter und aufrechter Deutscher sind, werde ich für Sie tun, was ich kann. Es hat keinen Zweck, Ihnen lediglich einen neuen Führerschein zu beschaffen. Damit würden Sie nicht die anderen nötigen Papiere bekommen, wenn Sie nicht auch eine Geburtsurkunde vorlegen, die Sie nicht besitzen. Aber ein neuer Paß kann Ihnen alles das beschaffen. Haben Sie ein bißchen Geld?«
»Nein, Herr Doktor. Ich bin restlos blank. Seit drei Tagen bin ich per Anhalter unterwegs.«
Der Anwalt gab ihm einen Hundertmarkschein.
»Hier können Sie nicht bleiben, und es wird mindestens eine Woche dauern, bis Ihr neuer Paß ausgestellt ist. Ich schicke Sie zu einem Freund von mir, der Ihnen den Paß besorgen wird. Er lebt in Stuttgart. Sie nehmen sich dort am besten ein Hotelzimmer und suchen ihn auf. Ich werde ihn benachrichtigen, daß Sie kommen, damit er sich darauf einrichten kann.«
Der Anwalt schrieb etwas auf einen Zettel.
»Er heißt Franz Bayer, und hier ist seine Adresse. Sie nehmen den Zug nach Stuttgart, suchen sich ein Hotel und gehen gleich zu ihm. Wenn Sie etwas Geld brauchen, wird er Ihnen aushelfen. Aber geben Sie es nicht gleich aus wie verrückt. Verhalten Sie sich unauffällig, bis Bayer Ihnen einen neuen Paß besorgen kann. Dann werden wir eine Stellung für Sie in Süddeutschland finden, und niemand wird Ihnen je auf die Spur kommen.«
Miller nahm den Hundertmarkschein und die Anschrift Franz Bayers unter verlegenen Beteuerungen der Dankbarkeit entgegen.
»Oh, vielen Dank, Herr Doktor. Sie sind wirklich anständig.«
Das
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