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Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)

Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)

Titel: Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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Kopf kahl rasierte.
    Nach dem Appell würde sie zum Friedhof außerhalb des Stacheldrahtzauns eskortiert, wo sie ein Grab ausheben und sich daneben knien mußte. Roschmann lud seine Luger durch oder einer seiner Henkersknechte die Armeepistole, um die Frau aus nächster Nähe durch einen Genickschuß zu ermorden. Zeugen waren bei diesen Exekutionen unerwünscht, aber über die lettischen SS-Wachen sickerte durch, daß Roschmann nicht selten absichtlich haarscharf am Ohr seines Opfers vorbeischoß, damit es im Schock in das Grab fiel, aus dem es dann wieder herausklettern mußte, um sich abermals hinzuknien und auf den tödlichen Schuß zu warten. Manchmal drückte er den Abzug durch, wenn gar keine Kugel in der Kammer war, und es machte nur »klick«. Das verstärkte das Entsetzen des Opfers und erhöhte sein Vergnügen. Die lettischen Wachen waren entmenschte Sadisten, aber Roschmann brachte selbst sie zum Staunen …
    Es gab ein Mädchen in Riga, das half den Häftlingen auf eigene Gefahr. Sie hieß Olli Adler und stammte vermutlich aus München. Ihre Schwester Gerda war bereits auf dem Friedhof erschossen worden, weil sie Lebensmittel in das Lager geschmuggelt hatte. Olli war ein Mädchen von außerordentlicher Schönheit; sie beschäftigte Roschmanns Phantasie. Er machte sie zu seiner Konkubine – »Hausmädchen« lautete die offizielle Bezeichnung dafür, weil Beziehungen zwischen SS-Leuten und Jüdinnen verboten waren. Sie schmuggelte Medikamente aus SS-Beständen ins Ghetto, wann immer man ihr gestattete, es zu betreten. Auch darauf stand selbstverständlich die Todesstrafe. Ich sah sie zuletzt, als wir in Riga eingeschifft wurden …
    Gegen Ende jenes Winters war ich überzeugt, nicht mehr sehr viel länger überleben zu können. Der Hunger, die Kälte, die Nässe, die schwere Arbeit und die ständigen brutalen Schikanen hatten aus mir, der ich vorher von robuster Gesundheit gewesen war, ein armseliges Bündel aus Haut und Knochen gemacht. Wenn ich in den Spiegel blickte, sah mich ein ausgemergelter uralter Mann mit rotgeränderten Augen und eingefallenen Wangen an. Ich war gerade fünfunddreißig geworden und sah doppelt so alt aus. Jedem anderen Häftling ging es genauso.
    Ich war Zeuge des Abmarschs Zehntausender zum Wald der Massengräber gewesen; ich hätte Hunderte an Kälte, Krankheit und Überarbeitung sterben sehen; ich hatte miterlebt, wie Ungezählte durch Erhängen, Auspeitschen und Knüppelhiebe ermordet wurden. Nachdem ich das alles fünf Monate lang überlebt hatte, war auch meine Zeit abgelaufen. Mein Lebenswille, der sich noch beim Transport geregt hatte, war erloschen. Geblieben waren nur noch Reaktionen, die noch eine Zeitlang gewohnheitsmäßig weiterfunktionierten. Früher oder später mußten auch sie zum Erliegen kommen. Aber dann geschah etwas, was mir wieder für ein ganzes Jahr Willenskraft gab.
    Ich erinnere mich noch heute an das genaue Datum. Es war der 3.   März 1942, der Tag des zweiten Dünamünde-Konvois. Einen Monat zuvor hatten wir zum erstenmal die Ankunft eines seltsamen Lastwagens beobachtet. Er war stahlgrau angestrichen und hatte etwa die Größe eines langen, einstöckigen Busses, jedoch keine Fenster. Er parkte unmittelbar außerhalb des Ghettos, und beim Morgenappell erklärte Roschmann, er habe eine interessante Neuigkeit zu verkünden. In der nahen Stadt Dünamünde sei eine Fischkonservenfabrik in Betrieb genommen worden, die Arbeitskräfte brauche. Die Arbeit, so sagte er, sei leicht, die Verpflegung gut und die Lebensbedingungen denkbar günstig. Diese Gelegenheit sei den alten Männern und Frauen, den Gebrechlichen, den Kranken und den kleineren Kindern vorbehalten.
    Natürlich wollten viele zu so einer bequemen Arbeit eingeteilt werden. Roschmann ging die Reihen entlang, um seine Wahl zu treffen. Diesmal versteckten sich die Alten und Kranken nicht im dritten oder vierten Glied wie vor dem Marsch zum Exekutionshügel, wo sie schreiend und protestierend vor die Front gezerrt wurden. Diesmal wollten sie gesehen werden. Schließlich waren über hundert für den Bus ausgesucht. Sie stiegen ein, die Türen wurden zugeworfen, und der Wagen fuhr davon. Ich weiß nicht, ob es schon beim ersten Mal vielen auffiel, daß er keine Abgase ausstieß. Später sprach sich herum, was es mit dem Wagen auf sich hatte. Es gab keine Fischkonservenfabrik in Dünamünde; der Bus war eine fahrbare Gaskammer. Inder Umgangssprache des Ghettos bedeutete »Dünamünde-Konvoi« den

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