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Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)

Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)

Titel: Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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Rasierpinseln, Brillen, Zahnprothesen, Eheringen, Siegelringen, Mützen und so weiter.
    Das war das übliche Verfahren bei exekutierten Transporten. Jeder, der ermordet werden sollte, mußte sich neben dem Massengrab ausziehen. Die Kleidungsstücke und Wertsachen wurden dann in das Ghetto geschafft, sortiert und ins Reich abtransportiert. Gold, Silber und Schmucksachen nahm Roschmann in seine persönliche Obhut …
    Im August 1942 war ein Transport aus Theresienstadt eingetroffen – auch aus diesem Lager in Böhmen traten Zehntausende deutscher und österreichischer Juden die Reise in die Vernichtungslager an. Ich stand auf der einen Seite des Blechplatzes und beobachtete Roschmann, der die Front abging und die Todesauswahl traf. Die neuen Opfer waren schon in Theresienstadt kahlgeschoren worden, und das hätte es erschwert, die Frauen von den Männern zu unterscheiden, aber sie trugen ihre Kittelkleider. Mir genau gegenüber, auf der anderen Seite des Platzes, stand eine Frau, die mir auffiel. Ihre Gesichtszüge kamen mir irgendwie bekannt vor, obwohl sie bis zur Unkenntlichkeit ausgezehrt und abgemagert war und ständig hustete. Als Roschmann bei ihr angekommen war, tippte er ihr mit seiner Reitpeitsche auf die Brust und ging weiter. Die Letten in seinem Gefolge packten die Frau sofort bei den Armen, zerrten sie aus der Reihe heraus und stießen sie zur Mitte des Platzes zu den Todgeweihten. In diesem Transport gab es viele, die nicht arbeitsfähig waren, und die Liste der Todgeweihten war sehr lang. Das bedeutete, daß von uns weniger Todeskandidaten ausgesucht wurden, um die Zahlen auszugleichen; aber für mich war das ohnehin eine akademische Frage. Als Kapo trug ich eine Armbinde und einen Knüppel, und durch die zusätzliche Verpflegung war ich sogar wieder etwas zu Kräften gekommen.
    Roschmann hatte mein Gesuch zwar gesehen, sich aber offenbar nicht an den Vorfall erinnert. Er schlug Häftlinge so häufig mit der Peitsche, daß er sich nicht jeden einzelnen Fall merken konnte.
    Die meisten der an jenem Sommerabend Ausgewählten wurden zu einer Marschkolonne zusammengetrieben und von den Kapos zum Ghettotor eskortiert. Dort übernahm die lettische SS die Überwachung und trieb sie die letzten fünf Kilometer zum Hochwald ins Massengrab.
    Da aber auch eine fahrbare Gaskammer vor dem Tor stand, wurde eine Gruppe von etwa hundert der Gebrechlichsten abgesondert. SS-Untersturmführer Krause deutete auf mich und vier oder fünf andere Kapos.
    »Ihr da«, brüllte er, »schafft die hier zum Dünamünde-Konvoi.«
    Als die anderen abmarschiert waren, brachten wir die letzten hundert zumeist Gehbehinderten, Entkräfteten und Lungenkranken zum Tor, wo der Lastwagen stand. Die magere Frau, die vom TBC-Husten geschüttelt wurde, war auch darunter. Sie wußte, wohin der Weg führte; alle wußten es. Aber sie stolperte mit derselben resignierten Schicksalsergebenheit zum hinteren Ende des Lastwagens wie die anderen auch. Sie war zu schwach, um sich hinaufzuschwingen, denn die Wagenklappe war etwa eineinhalb Meter über dem Boden, und so wandte sie sich hilfesuchend an mich. Wir standen da und starrten einander in sprachlosem Staunen an.
    Ich hörte, daß hinter mir jemand hinzutrat und die beiden anderen Kapos an der Wagenklappe Haltung annahmen und sich die Mütze vom Kopf rissen. Mir war klar, daß es ein SS-Führer sein mußte, und ich beeilte mich, das gleiche zu tun. Die Frau sah mich weiter unverwandt an. Der SS-Führer stand jetzt vor mir. Es war Hauptsturmführer Roschmann. Mit einem Kopfnicken befahl er den beiden anderen Kapos weiterzumachen und starrte mich mit seinen blaßblauen Augen durchdringend an. Ich wußte, was das bedeutete; ich würde ausgepeitscht an diesem Abend, weil ich meine Mütze zu langsam abgenommen hatte.
    »Wie heißt du?« fragte er sanft.
    »Tauber, Herr Hauptsturmführer«, sagte ich in Habtachtstellung.
    »Na, Tauber, du scheinst mir reichlich müde zu sein. Was meinst du, sollten wir dich heute abend ein bißchen munter machen?«
    Es hatte keinen Sinn, irgend etwas zu sagen. Die Strafe war beschlossen. Roschmanns Blick wanderte zu der Frau, und seine Lider verengten sich, als argwöhne er irgend etwas. Dann breitete sich das breite wölfische Lächeln auf seinem Gesicht aus.
    »Kennst du diese Frau?« fragte er.
    »Jawohl, Herr Hauptsturmführer«, entgegnete ich.
    »Wer ist sie?« fragte er. Ich konnte nicht antworten. Meine Lippen waren wie mit Kleister zusammengeklebt.
    »Ist sie

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