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Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)

Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)

Titel: Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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vonstatten. Schließlich gingen sie zu ungelöschtem Kalk über, bedeckten jede Leichenschicht damit und schaufelten sie im Frühjahr 1944, als der Boden aufzutauen begann, in die Gräben zurück.
    Die Kommandos, die diese Arbeit leisteten, stammten nicht aus dem Ghetto. Es waren Juden aus Salas Pills, einem der schlimmsten Lager der Umgebung. Sie waren dort unter strengster Isolierung von jeglichem menschlichen Kontakt inhaftiert; später ließ man sie einfach verhungern: Man verweigerte ihnen so lange jede Nahrung, bis trotz der zahlreichen Fälle von Kannibalismus alle vor Hunger gestorben waren …
    Im Frühjahr 1944 war diese Arbeit mehr oder weniger beendet, und schließlich wurde das Ghetto aufgelöst. Die meisten seiner dreißigtausend Bewohner wurden in den Hochwald getrieben; sie folgten den Hunderttausenden, deren Gebeine hier moderten, als letzte in den Tod. Etwa fünftausend von uns wurden in das Lager Kaiserwald überführt, während hinter uns das Ghetto in Flammen aufging und anschließend Planierraupen die Überreste dem Erdboden gleichmachten. Von dem, was einst hier gestanden hatte, blieb nichts übrig. Nichts außer einer Fläche mit Asche vermischten plattgewalzten Erdbodens, die sich Hunderte von Morgen weit ausdehnte …
    Auf den folgenden zwanzig Seiten seines Tagebuchs beschrieb Tauber den Kampf ums Überleben, den er im Konzentrationslager Kaiserwald gegen Hunger, Krankheit, Erschöpfung und die Brutalität der Lagerwachen zu bestehen hatte. In dieser Zeit trat SS-Hauptsturmführer Eduard Roschmann nicht in Erscheinung. Er hielt sich jedoch offenbar nach wie vor in Riga auf. Tauber schildert, wie die SS, von panischer Angst erfaßt, den Russen in die Hände zu fallen, fieberhafte Vorbereitungen traf, Riga auf dem Seeweg zu verlassen; sie nahmen die letzten überlebenden Häftlinge als Freibillett für die Rückreise ins Reich mit.
    Am Nachmittag des 11.   Oktober 1944 erreichten wir mit insgesamt noch knapp viertausend Häftlingen Riga. Unsere Marschkolonne wurde sofort zum Hafen weitergeleitet. Aus der Ferne hörten wir ein merkwürdiges dumpfes Dröhnen; es klang wie der rollende Donner eines entfernten schweren Gewitters. Zunächst kamen wir nicht darauf, was es bedeutete – wir hatten noch nie Granaten oder Bomben detonieren gehört. Dann dämmerte in unseren von Kälte und Hunger benommenen Köpfen die Erkenntnis, daß es russische Artilleriegeschosse waren, die in den Vororten von Riga einschlugen.
    Als wir bei den Hafenanlagen ankamen, wimmelte es dort schon von SS-Führern und -Mannschaften. Ich hatte nie so viele von ihnen zur selben Zeit am selben Ort gesehen; es müssen weit mehr SS-Leute als Häftlinge dort gewesen sein. Wir mußten uns in Reihen vor einem der Speicher aufstellen. Wieder glaubten die meisten von uns, wir sollten hier erschossen werden. Aber dem war nicht so.
    Offenbar beabsichtigte die SS, uns, die letzten fünftausend der Hunderttausende von Juden, die durch Riga geschleust worden waren, als Alibi für ihre Flucht vor dem russischen Vormarsch zu benutzen. Das Schiff, das sie ins Reich zurückbringen sollte – ein Frachter, der am Kai 6 festgemacht hatte –, war das letzte, das aus der eingeschlossenen Stadt auslief. Die verwundeten deutschen Soldaten lagen zu Hunderten auf Tragbahren in zwei Hafenschuppen. Nach einiger Zeit wurden die ersten an Bord getragen … Es war schon fast dunkel, als SS-Hauptsturmführer Roschmann erschien. Als er sah, welche Ladung das Schiff übernahm, erstarrte er. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß es Verwundete der Wehrmacht waren, die an Bord geschafft wurden, drehte er sich um und befahl den Sanitätssoldaten, die die Bahren schleppten: »Schluß! Einladen sofort abbrechen!«
    Er lief quer über den Kai auf sie zu und schlug einem von ihnen mit der flachen Hand ins Gesicht. Dann fuhr er herum und brüllte uns Häftlinge an: »Ihr Scheißkerle! Los, macht, daß ihr auf das Schiff raufkommt! Holt sie wieder runter! Bringt sie wieder in den Schuppen zurück. Das ist unser Schiff.«
    Angetrieben von den Gewehrläufen der SS-Männer, die uns zum Hafen eskortiert hatten, setzten wir uns in Richtung Gangway in Bewegung. Hunderte von anderen SS-Männern, einfachen Soldaten und Reserveoffizieren, die auf dem Kai gestanden und zugesehen hatten, wie die Verwundeten an Bord getragen wurden, stürmten jetzt vor und folgten den Häftlingen aufs Schiff.
    Ich hatte bereits die Gangway erreicht und wollte gerade hinaufsteigen, als

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