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Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)

Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)

Titel: Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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lieber hungrig im Gefängnis; denn auf den Straßen herrschte die totale Anarchie. Am Vormittag des 27.   April lag plötzlich Grabesstille über der ganzen Stadt. Gegen Mittag war ich im Gefängnishof und sprach mit einem der verängstigten alten Aufseher; er beteuerte mir nahezu eine Stunde lang, daß er und seine Kollegen mit Adolf Hitler nichts zu tun gehabt hätten und mit den Judenverfolgungen schon gar nichts. Ich hörte das Motorengeräusch eines Fahrzeugs, das draußen vor dem verschlossenen Gefängnistor vorfuhr. Kurz darauf hämmerte jemand gegen das Tor. Der alte Aufseher ging zum Tor und machte es auf. Ein Mann trat zögernd, mit entsichertem Revolver in der Rechten, durch den geöffneten Spalt. Er trug eine Felduniform, die ich noch nie gesehen hatte.
    Er mußte ein Offizier sein. Bei ihm war ein Soldat mit flachem, rundem Stahlhelm und einem schußbereiten Karabiner. Die beiden blieben schweigend stehen und blickten sich in dem Gefängnishof um. In einer Ecke lagen etwa fünfzig Leichen von Häftlingen, die in den letzten vierzehn Tagen gestorben waren. Niemand hatte mehr die Kraft gehabt, sie zu beerdigen. An der Hofmauer lagen geschwächte, zu Skeletten abgemagerte Häftlinge, die sich dorthin geschleppt hatte, um ihre eiternden, stinkenden Wunden von der warmen Frühjahrssonne bescheinen zu lassen.
    Die beiden Männer wechselten einen Blick und sahen dann den siebzigjährigen Gefängniswärter an. Er wich ihrem Blick nicht aus, obwohl ihm nicht wohl in seiner Haut war. Und dann sagte er etwas, was er im Ersten Weltkrieg gelernt haben mußte. Er sagte: »Hallo, Tommy.«
    Der Offizier sah ihn an, schaute ein zweites Mal in die Runde und starrte wieder den Wärter an. Er sagte ganz deutlich auf englisch: »Du verdammtes Kraut-Schwein.«
    Und plötzlich mußte ich weinen …
    Die Engländer brachten mich zeitweilig in einem Magdeburger Krankenhaus unter, aber ich verließ es auf eigenen Wunsch und machte mich per Anhalter auf den Weg nach Hause. Die Straßen des Stadtviertels, in dem ich geboren und aufgewachsen war, hatten die Feuerstürme der alliierten Bombenangriffe nicht überdauert, auch das Büro nicht, wo ich einmal gearbeitet hatte, meine Wohnung – es war nichts mehr da. Erst als ich sah, daß gar nichts mehr übriggeblieben war, da brach ich vollkommen zusammen. Ich verbrachte ein Jahr als Patient mit Leidensgenossen aus Bergen-Belsen in einem Krankenhaus und blieb dort noch ein weiteres Jahr. Ich arbeitete als Krankenpfleger und kümmerte mich um die, denen es noch schlechter ging als mir.
    Als ich dort kündigte, suchte ich mir in Hamburg ein Zimmer, um hier den Rest meiner Erdentage zu verbringen.
    Das Tagebuch endete mit zwei weiteren sauberen weißen Seiten. Sie waren erst kürzlich beschrieben worden und bildeten den Epilog.
    Ich habe seit 1947 in diesem kleinen Zimmer in Altona gewohnt. Kurz nachdem ich die Arbeit in dem Krankenhaus aufgegeben hatte, begann ich mit der Niederschrift dessen, was mit mir und den anderen in Riga geschehen ist. Aber lange bevor ich damit fertig war, wurde mir nur allzu deutlich bewußt, daß andere ebenfalls überlebt hatten – andere, die besser informiert und die auch sonst geeigneter waren als ich, Zeugnis abzulegen von dem, was geschehen war. Hunderte von Büchern sind bereits erschienen, die den Massenmord beschreiben; für meins interessierte sich sicher niemand mehr. Ich habe es nie jemandem zum Lesen gegeben.
    Wenn ich zurückschaue, wird mir klar, daß alles eine Zeit- und Energieverschwendung gewesen ist, der Kampf ums Überleben und mein schriftliches Zeugnis – andere haben das schon viel besser gemacht. Jetzt wünsche ich mir, ich wäre in Riga mit Esther gestorben.
    Selbst mein letzter Wunsch, Eduard Roschmann vor Gericht zu sehen und seine Untaten zu bezeugen – er wird sich nie erfüllen. Das weiß ich jetzt. Ich gehe manchmal durch die Straßen und denke an die Jahre, die ich hier verbracht habe, aber es ist nicht mehr so wie früher. Die Kinder lachen mich aus, und wenn ich versuche, ihre Freundschaft zu gewinnen, laufen sie weg. Einmal kam ich mit einem kleinen Mädchen ins Gespräch, das keine Angst hatte, aber dann kam seine Mutter und zerrte es schimpfend fort. Ich rede nicht viel mit anderen Menschen.
    Einmal war eine Frau da, die mich sprechen wollte. Sie war vom Wiedergutmachungsamt und erklärte mir, ich hätte Geld zu bekommen. Ich sagte ihr, daß ich kein Geld haben wollte. Sie war ganz ratlos und meinte, es wäre mein

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