Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)
alles in dem Bericht.«
»Ich brauche Geld«, sagte Mackensen. Der Werwolf hatte mit diesem Hinweis gerechnet. Er schob ein Bündel Banknoten über den Schreibtisch.
»Zehntausend werden wohl reichen.«
»Und die Weisung?«
»Aufspüren und liquidieren«, sagte der Werwolf.
Am Freitag, dem 13. Januar, erhielt Leon in München die Nachricht vom Tod Rolf Günther Kolbs fünf Tage vorher in Bremen. Der Brief von Leons norddeutschem Beauftragten enthielt den Führerschein des Toten.
Leon überprüfte an Hand seiner Liste ehemaliger SS-Angehöriger Dienstgrad und -nummer des Mannes, ging die bundesdeutsche Fahndungsliste durch und stellte fest, daß Kolbs Name darauf nicht verzeichnet war. Er starrte einige Zeit das Photo auf dem Führerschein an. Dann traf er seine Entscheidung.
Er rief Motti an, der an seinem Arbeitsplatz Telefondienst hatte, und sein Assistent meldete sich bei ihm, als seine Schicht beendet war. Leon legte ihm den Führerschein des Toten vor.
»Das ist genau der Mann, den wir brauchen«, sagte er. »Er ist mit neunzehn unmittelbar vor Kriegsende noch zum SS-Unterscharführer befördert worden. Die müssen kaum noch Leute gehabt haben. Kolbs und Millers Gesicht sind zu verschieden, als daß sich da was machen ließe – selbst wenn wir Miller kosmetisch entsprechend hinzukriegen versuchten, was ich als Methode sowieso nicht schätze. Aus der Nähe bleibt das immer erkennbar.
Aber Körperbau und Größe stimmen mit Miller überein. Wir müssen also ein neues Photo anfertigen. Aber das hat noch Zeit. Was wir zuerst brauchen, ist ein Stempel der Bremer Verkehrspolizeibehörde. Bitte, kümmern Sie sich darum.«
Als Motti gegangen war, rief Leon eine Nummer in Bremen an und erteilte weitere Anweisungen.
»In Ordnung.« Alfred Oster lobte seinen Schüler. »Jetzt fangen wir mit den Liedern an. Das Horst-Wessel-Lied kennen Sie doch wohl?«
Oster brummte ein paar Takte.
»Ja, natürlich«, sagte Miller. »Aber ich kenne den Text nicht.«
»Den bringe ich Ihnen bei. Sie müssen noch ein halbes Dutzend anderer Lieder können. Aber das Horst-Wessel-Lied ist das wichtigste. Vielleicht werden Sie das Lied mit anstimmen müssen, wenn Sie unter den Kameraden sind. Es nicht zu kennen, wäre Ihr Todesurteil. Also los, zwei, drei –:
Die Fahne hoch,
Die Reihen fest geschlossen …«
Das war der 18. Januar.
Mackensen saß in der Bar des Hotels Schweizerhof in München, trank einen Cocktail und dachte über den Urheber seiner Verwirrung nach: über Miller, den Reporter, dessen Gesichtszüge, persönliche Eigenschaften und Angewohnheiten er sich eingeprägt hatte. Er war gründlich. Bei diversen Jaguar-Vertretungen in Westdeutschland hatte er sich Werbephotos vom Modell XK 150 SPORT beschafft. Er wollte genau wissen, wie der Wagen aussah, nach dem er suchte. Aber er konnte ihn nirgendwo finden.
Die in Bad Godesberg aufgenommene Spur hatte ihn rasch zum Flughafen Köln-Wahn geführt. Dort bekam er die Auskunft, daß Miller nach London geflogen und innerhalb von sechsunddreißig Stunden zurückgekehrt sei. Seither waren er und sein Wagen verschwunden.
Nachfragen bei seiner Hamburger Adresse hatten nur zu einer Unterhaltung mit seiner hübschen und hilfsbereiten Freundin geführt. Sie konnte auch nur einen in München abgestempelten Brief vorweisen und meinte, Miller würde wohl eine Weile dort bleiben.
Eine Woche lang hatte Mackensen in München jedes Hotel, jeden öffentlichen und privaten Parkplatz, jede Garage, Werkstatt und Tankstelle abgeklappert. Vergeblich. Der Mann, den er suchte, war spurlos verschwunden. Er war wie vom Erdboden verschluckt.
Mackensen trank seinen Cocktail aus, kletterte vom Barhocker und ging zum Telefon, um dem Werwolf Bericht zu erstatten.
Genau zwölfhundert Meter von ihm entfernt stand der Jaguar mit den gelben Streifen an den Flanken auf dem ummauerten Hof der Villa, in der sich nicht nur Leons elegantes Antiquitätengeschäft befand, sondern auch das Hauptquartier seiner Geheimorganisation fanatischer Männer.
Im Bremer Zentralkrankenhaus betrat ein Mann im weißen Ärztekittel das Geschäftszimmer der Aufnahme. Er hatte ein Stethoskop umhängen – unverkennbares Berufszeichen eines neuen Internisten.
»Ich muß rasch einen Blick in die Krankengeschichte eines unserer Patienten werfen«, erklärte er. »Der Mann heißt Rolf Günther Kolb.«
Die Registraturangestellte kannte den Internisten zwar nicht, aber das hatte nichts zu bedeuten. Jüngere Internisten
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