Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)
waren, wie es Ihnen bei Kriegsende ergangen ist und was Sie seit 1945 gemacht haben. Aber schon der erste Teil der Ausbildung wird gute zwei bis drei Wochen dauern – und trotzdem ist das noch immer ein Schnellkurs.
Glauben Sie nur ja nicht, daß das ein Scherz ist. Wenn Sie erst einmal in der ODESSA sind und über die Männer an der Spitze Bescheid wissen, braucht Ihnen nur der geringste Fehler zu unterlaufen – und Sie sind dran. Ich weiß, wovon ich rede, denn vor denen geht selbst mir der Arsch ganz schön auf Grundeis, seit ich sie hereingelegt habe. Deswegen lebe ich hier unter einem anderen Namen.«
Zum erstenmal, seit Miller zu seiner privaten Jagd auf Eduard Roschmann aufgebrochen war, fragte er sich, ob er sich nicht zu weit vorgewagt hatte.
Punkt 10 Uhr meldete sich Mackensen beim Werwolf. Als die Tür zum Vorzimmer, in dem Hilda arbeitete, geschlossen war, forderte ihn der Werwolf auf, sich in den Klientensessel gegenüber dem Schreibtisch zu setzen, und steckte sich eine Zigarre an.
»Es gibt da jemanden, so einen Illustrierten-Reporter, wissen Sie, der für den Verbleib und die neue Identität eines unserer Kameraden ein nachgerade ärgerliches Interesse an den Tag legt«, begann er. Der Killer nickte verständnisvoll. Einleitende Sätze dieser Art hatte er schon wiederholt bei seinen Einweisungen in frühere Aufträge gehört.
»Normalerweise«, fuhr der Werwolf fort, »würden wir eine solche Angelegenheit auf sich beruhen lassen können. Entweder müßte der Reporter sein Vorhaben früher oder später ohnehin aufgeben, weil er nicht weiterkommt, oder der gesuchte Mann wäre uns nicht wichtig genug, um kostspielige und riskante Anstrengungen zu seinem Schutz zu rechtfertigen.«
»Aber diesmal liegen die Dinge wohl anders?« erkundigte sich Mackensen.
Der Werwolf nickte.
»Allerdings. Durch eine Verkettung unglücklicher Umstände – unglücklich für uns wegen der Mühen, die uns diese Geschichte bereitet, unglücklich für ihn, weil sie sein Leben verwirkten, hat der Reporter unwissentlich unseren Lebensnerv getroffen. Denn zum einen ist der Mann, dem er nachjagt, für uns im Hinblick auf unsere langfristigen Projekte von entscheidender Bedeutung. Zum anderen scheint der Reporter ein recht ungewöhnlicher Bursche zu sein – intelligent, hartnäckig, einfallsreich und zu meinem ehrlichen Bedauern offenbar halsstarrig entschlossen, an einem unserer Kameraden persönliche Rache zu nehmen.«
»Irgendein Motiv?« fragte Mackensen. Der Werwolf runzelte die Stirn. Er streifte die Aschenkrone von der Zigarre, bevor er antwortete.
»Wir begreifen nicht, wie er dazu kommt, aber offenbar hat er eines«, murmelte er. »Der. Mann, nach dem er sucht, mag Juden und deren Freunden noch heute ein Dorn im Auge sein wegen seiner in früheren Dienststellungen bewiesenen Pflichterfüllung. Er war Kommandant eines Ghettos in Ostland. Gewisse Leute und vor allem Ausländer weigern sich ja bekanntlich noch immer, die Rechtmäßigkeit unserer damaligen Maßnahmen anzuerkennen. Das Merkwürdige bei diesem Reporter ist nun aber, daß er weder Ausländer noch Jude ist. Angeblich gehört er auch nicht zu den Linken oder den sattsam bekannten Typen, die ständig auf ihrem sogenannten ›Gewissen‹ herumreiten. Die machen eine Menge Wind, sonst nichts.
Dieser Bursche ist aus anderem Holz geschnitzt. Er ist arisch und Sohn eines hochdekorierten Frontoffiziers. Weder aus seiner Vergangenheit noch aus seinem persönlichen und sozialen Hintergrund läßt sich ein solcher Haß auf uns erklären. Dieser Mann ist besessen von der fixen Idee, er müsse einen unserer Kameraden aufspüren. Ich gestehe, daß ich seine Exekution mit einem gewissen Bedauern verfüge. Aber er läßt mir keine Wahl.«
»Derzeitiger Aufenthaltsort?«
»Nicht bekannt.« Der Werwolf schob Mackensen zwei mit Schreibmaschine beschriebene Bogen Kanzleipapier über den Schreibtisch zu.
»Das ist der Mann. Peter Miller, Reporter und Enthüllungsjournalist. Er wurde zuletzt im Hotel Dreesen in Bad Godesberg gesehen. Inzwischen ist er bestimmt abgereist, aber es ist trotzdem kein schlechter Ausgangspunkt. Als weitere Anlaufadresse kommt seine Wohnung in Frage. Er lebt dort mit einem Mädchen zusammen. Sie müßten vorgeben, von einer der großen Illustrierten geschickt zu sein, für die er arbeitet. Auf diese Weise werden Sie vermutlich von dem Mädchen erfahren, wo er steckt – sofern sie es weiß. Er fährt einen auffälligen Wagen. Aber das steht
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