Die Akte Rosenthal - Seelenfischer-Trilogie 03
zunächst das Boulevardblatt durch. Im Inneren war zusätzlich ein halbseitiges Jugendfoto des Mannes abgebildet. Es zeigte ihn in bester Putin-Propaganda-Manier beim Angeln mit nacktem Oberkörper an einem Fluss.
Sekundenlang starrte Rabea wie elektrisiert auf das Jugendfoto. Dann sprang sie auf. Die Zeitung segelte zu Boden.
Das Bild hatte eine Kettenreaktion in ihr ausgelöst. Wie blind sie die ganze Zeit über gewesen war! Sie hatte die unbekannten Faktoren X und Y immer getrennt voneinander betrachtet. Nun griffen ihre Schlussfolgerungen wie Zahnräder ineinander und rasteten ein, die Begebenheiten sprangen plötzlich an den richtigen Platz. Sie hatte den großen Zusammenhang erkannt. Nichts, was geschehen war, war Zufall gewesen. Hinter allem steckte ein Masterplan.
Dabei hatte die Lösung die ganze Zeit direkt vor ihr gelegen. Um der Wahrheit Genüge zu tun, sie hatte heute Nacht sogar neben ihr gelegen …
Es war noch nicht zu Ende. Sie hatte die wichtigste Frage überhaupt außer Acht gelassen: Wer profitiert?
Kapitel 3 6
Als Ryan eine Stunde später aufwachte, weckte er kurz darauf auch Logan: „Rabea ist weg!“
„Nicht so laut!“, stöhnte dieser und rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht. „Mein Gott, sie wird kurz nach unten gegangen sein. Frühstücken oder irgendeinen Mädchenkram einkaufen.“ Mit rot umränderten Augen sah er zu seinem Freund auf. Logan hatte Ryan und Rabea gestern mit Abstand in Grund und Boden getrunken. Das rächte sich jetzt. „Hast du ein Aspirin?“, blinzelte er seinen Freund an.
„Nein, aber dafür ein merkwürdiges Gefühl. Sie hat Frühstück bestellt, aber nichts davon angerührt. Und die Zeitung lag auf dem Boden, neben dem Bademantel. Sie muss sehr in Eile gewesen sein.“ Ryan hielt das Boulevardblatt in der Hand und raschelte damit.
„Vielleicht ist sie einfach nur schlampig?“ Logan gähnte ausgiebig und warf dann einen Blick auf die Titelseite. Schlagartig war er hellwach. „Shit“, entfuhr es ihm.
„Was ist? Ist dir schlecht?“ Ryan war die jähe Blässe seines Freundes nicht entgangen.
„Nichts, Scheiße, mein Schädel brummt. Ich geh duschen.“ Unbemerkt nahm er sein Telefon mit ins Bad und tippte eine Nummer ein.
„Ihr bekommt wahrscheinlich Besuch.“
„Guten Morgen. Der Besuch ist längst da.“ Der Teilnehmer legte auf.
Crow sah auf sein Handy. „Shit, shit, shit.“ Er war so wütend, dass er am liebsten etwas zerstört hätte, aber das hätte Ryan auf den Plan gerufen. Stattdessen ballte er die Fäuste und hämmerte sich selbst damit gegen die Schläfen.
Er hatte gepatzt. Er war so gut wie tot.
Kapitel 3 7
„Senator Whitewolf, Sir, hier ist eine Dame, die Sie sprechen möchte.“
„Hatte ich Ihnen nicht ausdrücklich gesagt, dass ich keine Störungen wünsche? Die Frau soll einen Termin mit meinem Büro vereinbaren.“ Ungehalten sah der Angesprochene von seinem Redemanuskript auf.
Der Referent knetete seine Hände. Whitewolf hasste diese Angewohnheit. Trotzdem, es sah dem Mann nicht ähnlich, ihn mit irgendwelchen Besuchern zu belästigen.
„Ihre Mutter sagte, dass Sie sie erwarten würden, Sir.“
„Und wer soll das sein?“, fragte Whitewolf plötzlich wachsam.
„Ihr Name ist Rabea Rosenthal.“
Whitewolf erhob sich langsam. Seine Augen hatten sich verengt wie bei einem Panther, der kurz davor war, seine Beute anzuspringen. Der Referent kannte diesen Blick. Es lief ihm kalt den Rücken hinunter. Die Frau tat ihm jetzt schon leid.
„Schicken Sie sie herein. Ich werde sie auf der Terrasse empfangen. Sorgen Sie dafür, dass wir ungestört bleiben.“
Whitewolf nahm eine Flasche Wasser aus der Bar und zwei Gläser, dann ging er auf die Terrasse des Penthouse des Savoy. Von hier oben hatte man einen eindrucksvollen Blick über London. Doch die Aussicht ließ ihn kalt. Stattdessen schloss er die Augen. Mutter, dachte er intensiv und spürte ihre Präsenz. Warum hatte sie ihm die Journalistin angekündigt? Was genau erwartete sie, dass er tat?
Hinter sich hörte er leichte Schritte und drehte sich um. Da stand sie. Klein und rothaarig - eine zarte Frau - und doch hatte sie sich als eine mächtige Waffe erwiesen.
Whitewolf schenkte sich die üblichen Begrüßungsfloskeln: „Setzen Sie sich, Litonya Meoquanee. Ich nehme nicht an, dass Sie wegen eines Interviews hier sind.“ Er reichte ihr ein Glas Wasser.
Rabea nahm es entgegen. „Warum nennen Sie mich so: Litonya
Weitere Kostenlose Bücher