Die Akte Rosenthal - Seelenfischer-Trilogie 03
hatten sich erst gegen 11:20 Uhr mit einer elektronisch verzerrten Bandansage erneut bei ihm gemeldet. Darin teilten sie ihm mit, er solle das Geld in eine Sporttasche packen und in Richtung Innenstadt fahren. Sein Handy solle er mitnehmen.
Dass James Fonton fuhr, machte Lukas nervös. Aber alle hatten darauf bestanden: Sein Vater, Lucie und Fonton natürlich auch. Lukas hatte Fonton das Versprechen abgenommen, sich aus allem herauszuhalten und ihm lediglich als Chauffeur zu dienen.
Um zur Altstadt zu gelangen, überquerten sie zunächst die Pegnitz. Eine Viertelstunde vor der geplanten Übergabe hatten sie den Randbezirk der Altstadt erreicht. Der Verkehr war hier wie immer sehr dicht. Lukas konnte bereits die Türme der Frauenkirche und der Sebalduskirche erkennen, die den Nürnberger Hauptmarkt überragten, als sein Handy klingelte. Das Display zeigte 11:46 Uhr.
Erneut klang eine verzerrte Stimme vom Band: „Steigen Sie aus dem Wagen und gehen Sie zu Fuß weiter, in Richtung Hauptmarkt. Beeilen Sie sich. Sobald wir merken, dass Sie nicht allein sind, ist Ihre Frau tot. Wir melden uns in exakt fünf Minuten wieder.“
Fonton fasste nach hinten und zog die Sporttasche nach vorne. „Viel Glück, Herr von Stetten“, sagte er.
Sofort nachdem Lukas den Wagen verlassen hatte, griff Fonton zum Telefon und gab Instruktionen an seine Männer weiter. Dann verließ der ehemalige SAS-Commander den Wagen und lief ebenfalls in Richtung Nürnberger Hauptmarkt. Er hatte sein Jackett ausgezogen, eine Kappe aufgesetzt und um seinen Hals baumelte eine kleine Kamera.
Fontons Vorteil war seine jahrzehntelange Erfahrung. Wenn er nicht gesehen werden wollte, dann wurde er auch nicht gesehen.
Kapitel 22
Lukas steuerte direkt auf den Hauptmarkt zu. Die Türme der beiden Kirchen und die gotische Fassade des Rathauses ragten bereits vor ihm auf.
Er hatte eben den Rand des trapezförmigen Platzes erreicht, als sein Handy erneut klingelte: Die Übergabe sollte beim Schönen Brunnen, einem der Wahrzeichen Nürnbergs, stattfinden. Neben Rathaus und Frauenkirche bildete er das Herzstück des Hauptmarktes. Da der Schöne Brunnen ständig von einer Unmenge Touristen mit Fotoapparaten umlagert und der Hauptmarkt gut besucht war, gab es in ganz Nürnberg keinen besser gewählten Ort, an dem man mit fünf Millionen Euro ungestörter untertauchen konnte.
Lukas sah erneut auf seine Uhr, 11:54 Uhr. Er stellte die Tasche, wie es der Entführer verlangt hatte, hinter sich ab und wartete. Eine Stunde sollte er sich nicht vom Fleck rühren. Bei erfolgreicher Übergabe würden seine Frau und sein Sohn um Punkt 13:00 Uhr in der Marienkirche auf ihn warten.
Lukas spürte, wie sein Herz schmerzhaft in seiner Brust schlug. Er hatte alle Auflagen der Entführer erfüllt. Warum sollte er nicht hoffen, dass sein Albtraum in einer Stunde ein Ende finden würde?
Das dichte Treiben auf dem Marktplatz nahm er nur am Rande wahr. Er hatte sich so hingestellt, dass sich die Marienkirche genau in seinem Blickfeld befand. Warteten Magali und Matti vielleicht schon dort auf ihn? Nur mit Mühe unterdrückte er den Drang, sofort loszurennen und nachzusehen.
Jetzt, um 12:00 Uhr mittags, fanden sich besonders viele Menschen auf dem Hauptmarkt ein. Dann setzte das berühmte Männleinlaufen der Frauenkirche ein: Es war 1356 von Kaiser Karl IV. zur Erinnerung an die goldene Bulle gestiftet worden.
Schlag zwölf öffnete sich an der Uhr ein Tor und das Männleinlaufen wurde mit Glöckchengeläut eröffnet. Es folgten ein Ordner und eine Reihe Musiker, dann die sieben Kurfürsten mit den Reichskleinodien. Am Ende schlugen zwei Männer auf eine Glocke, anschließend verschwand der ganze Zug wieder im Inneren.
Um Lukas herum hatten die Touristen ihre Fotoapparate und Handys gezückt. Lukas achtete nicht weiter auf sie.
Eine Gruppe junger Rucksacktouristen drängte nun an das Brunnengitter heran. Sie unterhielten sich in einer slawisch klingenden Sprache. Lukas identifizierte es als Polnisch, die Sprache des verstorbenen Papstes Johannes Paul II.
Lukas sah schon wieder auf die Uhr. Gerade einmal sieben Minuten waren vergangen. Er fragte sich, ob die Tasche noch hinter ihm stand.
„Herr von Stetten! Ach wie schön, Sie wieder einmal zu treffen“, trällerte es plötzlich neben ihm. Mist! Fast hätte er laut geflucht. Sieglinde Meister, Gastseelsorgerin der Marienkirche. Ausgerechnet! Er musste sie loswerden. Aber wie? Sie war für ihre Hartnäckigkeit
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