Die Akte Rosenthal - Seelenfischer-Trilogie 03
berüchtigt. Sie kümmerte sich um die Touristenführungen in der Marienkirche, vor allem aber trieb sie die Spenden der Kirche ein.
Jetzt maß Sybille Meister Lukas wie ein Metzger seinen besten Braten. Zweifellos hatte sie ihn als Opfer für die nächste Spende auserkoren. Sie linste an ihm vorbei und rief: „Oh, Sie kommen gerade vom Sport? Sehr löblich, das hält Geist und Körper zusammen!“ Eifrig wippte ihr grauer Dutt im Rhythmus ihrer Worte mit.
Vielen Dank, Frau Meister! Immerhin wusste Lukas jetzt, dass sich seine Tasche noch an Ort und Stelle befand.
Soviel zur Theorie, dass es keinen besseren Ort für die Übergabe geben konnte, als den Schönen Brunnen, seufzte Lukas im Stillen. Leider machte die Frau keine Anstalten zu gehen. Unruhig wechselte er von einem Bein auf das andere, im Bewusstsein, dass der Entführer ihn beobachtete.
Frau Meister setzte eben zu ihrer üblichen Spendenrede an, als sie plötzlich die Hände vor den Mund schlug. „Jessas, aber das gibt es doch nicht“, rief sie aus. „Ja, hat man sowas schon einmal gesehen? Ist der denn verrückt geworden?“
Lukas konnte nun auch ein rasch näherkommendes Motorengeräusch ausmachen. Er stand wie erstarrt und durfte sich auf keinen Fall umdrehen. Der Entführer! Er preschte über den Marktplatz!
Frau Meister stieß plötzlich einen schrillen Schrei aus und machte einen Satz auf den Brunnen zu, als wollte sie über das Geländer hüpfen. Dann war das Gefährt da, der Fahrer schnappte sich die Sporttasche und raste in die entgegengesetzte Richtung davon.
Ein Moped! Natürlich! Die Menge teilte sich vor ihm wie das rote Meer, Menschen kreischten und sprangen in Panik zur Seite. Frau Meister selbst schrie noch immer, steckte damit einige ältere Damen an und irgendein Idiot kam auf die unheilvolle Idee und brüllte: „Eine Bombe, eine Bombe!“ Ein Hauch von Wahnsinn machte sich breit und pflügte wie eine unheilvolle Welle quer durch den Hauptmarkt.
Noch mehr Menschen schrien, wussten nicht, was eigentlich los war und wohin sie fliehen sollten und deshalb einfach wild in alle Richtungen davonrannten. Schlagartig fand sich Lukas inmitten einer menschlichen Stampede wieder. Er drückte sich eng gegen das Brunnengitter. Immerhin hatte die Menge Frau Meister verschluckt.
Wie aus dem Nichts tauchte James Fonton neben Lukas auf und packte ihn am Arm. „Kommen Sie, Herr von Stetten. Es ist vorbei.“
„Was fällt Ihnen ein, Fonton?“, fuhr ihn Lukas heftig an und entriss ihm seinen Arm. „Sie sollten doch beim Wagen bleiben.“
„Ihr Vater hat mich beauftragt, auf Sie aufzupassen. Genau das tue ich.“
„Ich komme alleine klar“, rief Lukas aufgebracht. „Die Anweisung lautete, mich eine Stunde lang nicht zu rühren. Genau das werde ich tun. Ich gefährde doch nicht das Leben meiner Familie. Verschwinden Sie, Fonton.“
„Der Entführer wird nicht kommen.“
„Was soll das jetzt? Er hat das Lösegeld längst.“
„Irrtum. Das Geld wurde soeben gestohlen.“
„Was? Sind Sie verrückt geworden?“
„Glauben Sie mir, es ist so. Die Übergabe ist geplatzt.“
Um sie herum begann sich der Platz langsam zu lichten. Polizeisirenen waren zu hören.
„Und was macht Sie da so sicher?“ Lukas weigerte sich weiter, Fonton zu glauben.
„Weil ich den Dieb erkannt habe.“
Am Rande des Platzes stieß jemand einen Fluch aus, steckte sein Fernglas weg und verließ die Szene.
Kapitel 23
Knapp zwei Stunden später hatte sich in der Bibliothek der Villa des Industriellen Heinrich von Stetten eine größere Runde versammelt.
Anwesend waren die beiden Kriminalbeamten Kreitmeier und Rath, die das Mädchen Jeanette erneut begleitet hatten, diesmal zusammen mit ihrer Mutter, sowie Lukas' Vater, Lukas, Lucie und James Fonton.
Lukas war ganz schlecht vor Angst um seinen Sohn und Magali. Lucie spürte seine Verzweiflung. Sie saß dicht neben ihm, griff nach seiner Hand und drückte sie fest.
Jeanette war noch am Rande des Hauptmarktes durch einen dort von James Fonton postierten Mann abgefangen worden.
Die Sporttasche mit dem Lösegeld und der Akte parkte derweil zwischen Fontons Füßen.
Lukas starrte die Tasche böse an. Die fehlgeschlagene Übergabe lag wie eine unheilvolle Prophezeiung über ihm. Das Mädchen hatte erneut alles gefährdet. Er wollte nicht an die Konsequenzen für seine Familie denken, doch die Drohung des Entführers, dass seine Frau Magali sterben würde, bohrte sich in sein Ohr. Dabei hatte er
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