Die Akte Rosenthal - Seelenfischer-Trilogie 03
17:33 Uhr an, als er an dem verlassenen Schrottplatz anlangte. Das Tor, auf dem ein Schild die Öffnungszeiten verkündete, stand offen.
Lukas fuhr in den Hof und hielt in der Mitte des weitläufigen Platzes an. An dessen Rändern türmten sich ausgeschlachtete Autoskelette in den Himmel, wie nach einem apokalyptischen Anschlag. Ihm gegenüber, am Ende der kurzen Zufahrtstraße, befand sich eine baufällige Baracke, auf die jemand mit Farbe hochtrabend `Büro´ geschrieben hatte. Direkt daneben stand eine Hundehütte. Sie war erschreckend groß. Lukas konnte nur hoffen, dass sie genauso verlassen war wie der Schrottplatz.
Das Adrenalin rauschte in seinen Adern, während er sich umsah, unschlüssig, was als Nächstes von ihm erwartet wurde. Er hatte das Mobiltelefon auf der Mittelkonsole abgelegt und starrte auf das Display. Es zeigte inzwischen 17:36 Uhr an.
Sollte er aussteigen oder im Wagen sitzen bleiben? Mit Sicherheit beobachteten ihn die Entführer aus ihrem Versteck irgendwo hinter den Autowracks. Ob sie zuerst das Lösegeld sehen wollten, bevor er selbst in Erscheinung trat? Lukas öffnete langsam die Fahrertür, griff sich die Sporttasche und stieg aus.
Die Tasche platzierte er einige Meter weit vom Fahrzeug entfernt. Er zögerte kurz, dann zog er den Reißverschluss ganz auf, so dass mit einem Fernglas die gebündelten Banknoten für die Entführer gut erkennbar sein würden. Lukas griff nach dem Päckchen mit Rabeas Akte. Er hatte das Päckchen wohl oder übel vor der ersten Übergabe geöffnet, um sich zu vergewissern, dass es sich tatsächlich um die geforderten Unterlagen handelte. Der Inhalt der Akte, ein Micro-SD Chip, ein Dutzend verschwommene Wüstenfotos und ungefähr zwanzig Seiten verschlüsselter Papiere, hatten letzte Zweifel ausgeräumt. Er hob den grünen Aktendeckel mit gestreckten Armen über seinen Kopf und drehte sich einmal um seine eigene Achse. Dann legte er sie gut sichtbar oben auf der Tasche ab. Er kehrte zu seinem Wagen zurück und setzte sich wieder hinein. Die Tür ließ er offen.
Er wartete. Nichts geschah. Eine halbe Stunde verging, alles blieb ruhig. Lukas rief sich nochmals die Koordinaten des Schrottplatzes in Erinnerung. Er war am richtigen Ort. Er hielt das Handy der Entführer jetzt in der Hand und checkte alle paar Sekunden, ob eine Nachricht mit neuen Anweisungen eingetroffen war.
Schließlich hielt der junge Mann es nicht mehr im Wagen aus. Er beschloss, sich wenigstens kurz die Beine zu vertreten.
Er war kaum ausgestiegen, als um ihn herum das Inferno ausbrach. Erst hörte er laute Rufe, gefolgt von mehreren Schüssen und dann gingen gleich mehrere der ausgeschlachteten Fahrzeuge in einer ohrenbetäubenden Explosion in Flammen auf.
Lukas stand wie paralysiert inmitten des Geschehens. Ein Schuss schlug in die Hintertür seines Wagens ein. Er registrierte ihn nicht. Fassungslos verharrte er an Ort und Stelle. Was geschah hier gerade?
Hinter ihm sprintete jemand heran und brüllte: „Steig in den verdammten Wagen, Lukas.“ Diese Stimme! Doch Lukas war unfähig sich zu rühren.
Jules stieß ihn mit voller Wucht um, während weitere Kugeln neben ihnen einschlugen. Jules zerrte Lukas hoch und bugsierte ihn in den Wagen, warf die Tasche hinterher und raste mit quietschenden Reifen davon. Erst als er nach einigen Minuten wilder Fahrt sicher sein konnte, dass niemand sie verfolgte, hielt er in einer ruhigen Seitenstraße an.
„Bei Allah, Lukas! Habe ich dir nicht beigebracht, dass man auch einmal den Kopf einziehen muss?“, fuhr Jules ihn an.
Keine Reaktion. Lukas saß reglos auf dem Beifahrersitz und starrte vor sich hin.
„Lukas, bist du verletzt? Wenn ja, sag`s mir, damit ich dir helfen kann.“ Jules packte ihn an der Schulter und tastete seinen Freund auf Schusswunden ab. Merde, Blut. Lukas linker Arm war getroffen. Jules beugte sich über ihn und untersuchte die Wunde genauer. Nur ein Streifschuss.
Lukas hatte die Untersuchung ohne Reaktion über sich ergehen lassen. Ein einziger Gedanke beherrschte ihn: Gescheitert, er war wieder gescheitert! Sein Sohn und seine Frau waren so gut wie tot, tot, tot ...
Jules überschüttete ihn mit einem Wortschwall. Erst als er mehrmals hintereinander gesagt hatte: „Hörst du Lukas, Matti geht es gut. Matti geht es gut, okay?“, sickerten die Worte in sein Bewusstsein und kehrte Bewegung in den Erstarrten zurück.
Widerstrebend wandte er sich der Stimme zu. Er erkannte Jules. Aber Jules war doch tot? War er auch
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