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Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Titel: Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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sähe ihm ähnlich«, meinte Böhm und stand auf. »Aber Sie haben recht: an die Arbeit!«
    Auf den Gängen herrschte eine seltsame Unruhe. Nicht der übliche Mittagstrubel, das war etwas anderes. Die Kollegen standen in kleinen Grüppchen zusammen und diskutierten leise, sie schienen etwas zu beobachten, das sich im Gang abspielte, der zum Büro des Polizeipräsidenten führte.
    Charly und Böhm drängten sich nach vorne, und dann sahen sie, was die Unruhe unter den Beamten ausgelöst hatte: eine ungewohnte Uniform in den Gängen des Polizeipräsidiums, das Grau der Reichswehr. Ein Hauptmann, der einen Polizeioberst und einen Zivilisten eskortierte, auf dem Weg zum Büro des Polizeipräsidenten.
    »Der Blaue da, das ist Oberst Poten, der früher die Polizeischule in Eiche geleitet hat«, sagte Böhm.
    Charly wunderte sich. »Und warum tanzt der hier mit einem Reichswehrhauptmann an?«
    »Man munkelt, Poten soll Heimannsberg ablösen«, flüsterte ihnen einer der Beamten zu, die die Szene beobachteten. »Und der Zivilist da soll neuer Polizeipräsident werden.«
    »Wie?«
    »Womöglich soll die ganze Polizeispitze ausgetauscht werden.« Der Kollege reichte ihr eine Zeitung.
    Gefährliche Pläne hatte das Berliner Tageblatt heute Morgen getitelt. Papen als Reichskommissar?
    Charly schaute auf die Schlagzeile und reichte sie an Böhm weiter. War es jetzt so weit? Seit Tagen hatte es in der Luft gelegen, seit den blutigen Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und Nazis am Sonntag in Altona. Ein Blutbad mit sechzehn Toten in einer Provinzstadt, weit weg im Holsteinischen, Schießereien mitten auf der Straße, ausgelöst durch einen SA – Trupp, der in voller Montur mitten durch ein Kommunistenviertel marschiert war. Die preußische Polizei hatte Hilfe aus dem benachbarten Hamburg holen müssen, um die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen. Die Ereignisse hatten in der nationalen Presse die Frage aufgeworfen, ob Landesregierung und Polizei in Preußen noch Herr der Lage seien. Die Einsetzung eines Reichskommissars wurde gefordert, der die sozialdemokratische Minderheitsregierung unter dem sturen Ostpreußen Otto Braun absetzen solle. Kurz: Preußen sollte vom Reich mitregiert werden.
    Das war nichts anderes als ein Aufruf zum Putsch, so sah es Charly jedenfalls.
    Reichskanzler Franz von Papen, dessen herausragendste politische Leistung bislang die Aufhebung des SA – Verbots war, ohne die es Auseinandersetzungen wie die in Altona gar nicht gegeben hätte, war eigens nach Ostpreußen gereist, zu Hindenburg auf dessen Gut Neudeck, um den greisen Präsidenten von der Notwendigkeit einer solchen Lösung zu überzeugen. Und natürlich wollte Papen selbst, der keine Mehrheit im Reichstag hatte und nur von Hindenburgs Gnaden Reichskanzler geworden war, Reichskommissar für Preußen werden.
    Was das Ende der Demokratie in Preußen bedeuten würde. In einer der letzten demokratischen Bastionen in Deutschland. Und genau das war es, was der reaktionäre Franz von Papen, der von einer Rückkehr des Kaisers träumte oder von einer Militärdiktatur, keiner wusste das so genau, auch erreichen wollte.
    Schweigend schauten Böhm und Charly zu, wie der Reichswehrhauptmann an der Tür von Polizeipräsident Grzesinski stehen blieb und klopfte und wie die Männer von dessen Sekretärin eingelassen wurden, als würden sie bereits erwartet.
    Auch, als sie schon wieder auf dem Weg zur Inspektion   A waren, sagten die beiden Mordermittler erst einmal nichts. Böhm war es, der das Schweigen schließlich brach.
    »Haben Papen und seine Barone es also tatsächlich gewagt«, sagte er. Charly wunderte sich. Böhm war jemand, der sich in Kollegenkreisen sonst nie zu politischen Dingen äußerte. Doch jetzt war eine Grenze überschritten, jetzt reichte der Arm der Politik tief hinein in die Burg und in die Arbeit der Polizei, und das schien dem Oberkommissar gehörig gegen den Strich zu gehen.
    »Meinen Sie, der Ministerpräsident ist schon abgesetzt?«, fragte Charly.
    Böhm zuckte die Achseln. »Ich glaube nicht, dass Otto Braun kampflos aufgibt.« Er öffnete ihr die Glastür zur Mordinspektion wie ein Kavalier alter Schule. »Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Grzesinski so einfach seinen Schreibtisch räumt. Und Doktor Weiß erst recht nicht.« Einige Kollegen standen auf dem Gang, und der Oberkommissar flüsterte wieder. »Mit etwas Glück versandet diese Farce hier genauso kläglich wie der Kapp-Putsch.«
    Charly nickte.

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