Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
noch Wengler. Polakowski hat seinem Arbeitgeber gekündigt und seine Wohnung leer geräumt.«
»Hoffentlich hat er nicht Lunte gerochen. Oder er ist auf dem Weg, um sein letztes Opfer … Wo ist Wengler?«
»Gestern abgereist. Nach Danzig.«
»Danzig? Seine Geburtsstadt.«
»Wir vermuten, dass er seine Familie dort besucht. Die Danziger Kriminalpolizei ist informiert. Die Kollegen haben ihn am Bahnhof empfangen und lassen ihn nicht aus den Augen.«
Rath nickte. »Wir sollten den Danzigern eine Beschreibung von Polakowski schicken, am besten ein Foto.«
»Wenn wir denn eins hätten.«
»Ich habe eins. Aus dem Zuchthaus Wartenburg.«
»Und du meinst, Gustav Wengler ist ein Mörder?«
»Das ist er, darauf würde ich meine nächste Beförderung wetten!«
»Wenn es die jemals gibt.« Charly lachte. Dann wurde sie wieder ernst. »Wäre schön, wenn wir ihm den Mord nachweisen könnten. Aus der Sache mit dem Alkoholschmuggel scheint er sich nämlich herauszuwinden wie ein Aal. Opfert die eigenen Leute dafür. Hat uns seinen Geschäftsführer ans Messer geliefert, Dietrich Aßmann.«
»Den Toten aus dem Zellentrakt?«
»Genau.«
»Dann steckt Wengler auch hinter diesem Mord. Vielleicht hat der dem falschen Polizisten gesagt, er soll sich als Gereon Rath ausgeben. Als kleine Rache, weil ich ihm in Treuburg so auf die Nerven gegangen bin.« Er schaute Charly an. »Wollen wir hoffen, dass er sich aus der Mordgeschichte nicht genauso herauswindet. Eine lästige Mitwisserin hat er schon beseitigen lassen.«
»Wie?«
»Die Bibliothekarin von Treuburg. Das Dumme ist: Wir haben nichts gegen ihn in der Hand. Nichts lässt sich beweisen. Der einzige Mensch, der beobachtet hat, wie Gustav Wengler vor zwölf Jahren seine Verlobte getötet hat, würde vor Gericht keinen guten Eindruck machen, fürchte ich. Vorausgesetzt, wir kriegen ihn überhaupt raus aus seinem Wald.«
»Radlewski?«
Rath nickte. »Wirklich ein seltsamer Kauz, aber kein Mörder. Wenn er überhaupt etwas ist in diesem Fall, dann ein Zeuge. Wenigstens theoretisch.«
Sie hatten den Buick erreicht, den Charly direkt unter der Bahnbrücke an der Hardenbergstraße geparkt hatte.
Rath war so damit beschäftigt, den Koffer auf dem Notsitz zu verstauen, dass er die drei Männer viel zu spät bemerkte, die sich ihm genähert hatten. Alle drei trugen Pistolen. Und einer sprach ihn an.
»Ich hoffe, Sie machen keine Schwierigkeiten, Rath, und kommen mit.«
Er drehte sich um. Da stand Wilhelm Böhm und hielt den Lauf seiner Dienst-Mauser auf ihn gerichtet.
»Was soll das? Wollen Sie mich festnehmen? Ich wäre nach dem Frühstück sowieso in die Burg gekommen!«
»Ich gehe lieber auf Nummer sicher.«
Böhm winkte mit der Pistole zur Straße, an der gerade ein grüner Opel gehalten hatte, und Rath setzte sich in Bewegung.
Der Hund schien überhaupt nicht zu verstehen, was da los war, und lief zwischen seinem Herrchen und dem Buick hin und her.
Charly war untröstlich. »Tut mir leid, Gereon, das wusste ich nicht. Die müssen mir gefolgt sein.« Sie warf Wilhelm Böhm einen bösen Blick zu, und in diesem Moment empfand Rath die Situation als längst nicht mehr so schlimm, konnte sie sogar auf eine gewisse Weise genießen: Zum ersten Mal hatte er Charly auf seiner Seite in seiner Abneigung gegen Wilhelm Böhm. Vielleicht merkte sie jetzt doch, was für ein Stinkstiefel der Oberkommissar war. Beinahe vergnügt setzte er sich auf die Rückbank des grünen Opels und grüßte den Mann am Steuer.
»Mertens! Tut mir leid, dass Sie meinetwegen so früh aufstehen mussten.«
»Geht schon in Ordnung, Herr Kommissar.«
Irgendein Zivilbeamter, den Rath nicht kannte, warf Raths Gepäck in den Kofferraum des Opels, dann wuchtete Böhm seine schwere Gestalt auf den Rücksitz.
»Dann werden Sie wohl im Präsidium frühstücken müssen«, sagte der Oberkommissar. Und auf seinen Wink fuhr Mertens los.
Im Rückspiegel sah Rath Charly mit dem Hund neben dem Buick stehen und immer kleiner werden, bis ein Bus die Hardenbergstraße kreuzte und ihm die Sicht nahm.
89
W enigstens hatte Böhm ihm keine Handschellen angelegt.
»Ist das jetzt eine Verhaftung?«, fragte Rath, als ihr Wagen den Kreisverkehr an der Gedächtniskirche passierte.
»Ich habe tatsächlich einen Haftbefehl. Aber ich appelliere an Ihre Vernunft.«
»Herr Oberkommissar, das ist lächerlich! Mich hier festzunehmen wie einen Verbrecher. Irgendwo sitzt jemand und lacht sich halb tot, wenn er das erfährt.
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