Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Akte Veden

Die Akte Veden

Titel: Die Akte Veden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Meier
Vom Netzwerk:
sein, ist das der Schülersprecher Chester. In diesem Artikel werden seine Leistungen während des vergangenen Schuljahres benannt, außerdem beleuchtet man seine Herkunft. Zumeist haben die Eltern der Schulbesten auch an dieser Schule studiert, deshalb bedienen sich die Schreiberlinge den Archiven, fischen Informationen über die Eltern, und im günstigsten Fall auch ein Foto von ihnen heraus. Außerdem finden sich im Jahresrückblick Zusammenfassungen über die wissenschaftlichen Studien, die während des Jahres gemacht wurden, und auch für diese benötigen sie ab und an Rückschlüsse, die nur in den Archiven zu finden sind.« Sie musterte Tim eingehend. »Genügt Ihnen das als Beispiel?«
    Tim nickte. »Klar. Danke, Frau Benz.« Er packte die Unterlagen, klemmte sie sich unter den Arm. »Feierabend, würde ich sagen.«
    Die alte Frau drehte sich um und ging auf den Ausgang zu. »Schön für Sie. Bis morgen.« Damit verschwand sie in den Fluren des weitläufigen Kellers.

    *
    Als Tim aus dem Schulgebäude treten wollte, kam ihm der Direktor entgegen. Veden sah frisch aus wie immer, ordentlich gekleidet in einen schwarzen Anzug, der seine graublauen Augen in dem wettergegerbten Gesicht strahlen ließ. Als er Tim sah, änderte er seinen Kurs und kam lächelnd auf ihn zu.
    »Herr Jung! Wie ich sehe, sind Sie fleißig bei der Arbeit. Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit?« Veden schüttelte voller Elan Tims Hand.
    »Klar. Bei Ihnen?« Mit einem unterdrückten Knurren rieb sich Tim die zerquetschte Hand und nahm sich vor, sie dem Direktor in Zukunft nicht mehr zu geben. Die Riemen hatten Kerben in seinen Handballen geschnitten, so fest drückte Veden zu.
    Der Direktor baute sich vor Tim auf. Er war eine stattliche Erscheinung mit seinen breiten Schultern und der aufrechten Haltung. Sein Lächeln zeigte ebenmäßige, weiße Zähne. »Schlechten Menschen geht es immer gut.« Er lachte und schlug Tim freundschaftlich gegen die Schulter. »Kommen Sie gut voran?«
    Saublöder Spruch, dachte Tim, während er weiterhin das Grinsen erwiderte. »Bei einer Sache könnten Sie mir vielleicht weiterhelfen.«
    Vedens Blick wurde ernst. »Wobei?«
    »Es geht um den Brand, der vor eineinhalb Jahren im Archiv ein paar Unterlagen vernichtet hat.« Tim musterte das Gesicht, konnte aber außer der Ernsthaftigkeit, die der Direktor jetzt an den Tag legte, keine Regung erkennen. »Erinnern Sie sich daran?«
    »Natürlich, wie könnte ich nicht? Eine tragische Nacht war das, ein großer Verlust für die Schule.«
    »Ja, großer Verlust«, sagte Tim. »Frau Benz hat mir gesagt, dass der Brand von einer Kerze verursacht worden ist. Mir kommt das alles ein bisschen merkwürdig vor. Was hat eine Kerze da unten zu suchen?«
    Die graublauen Augen musterten Tim einen Moment, dann machte sich ein Grinsen auf dem Gesicht des Direktors breit, das ihn noch jünger aussehen ließ. »Genau diese Frage habe ich damals auch gestellt. Sie scheinen mir ein scharfsinniges Bürschchen zu sein, was?«
    Tim spürte, wie er rot anlief. »Na ja.« Er räusperte sich. »Haben Sie eine Antwort bekommen?«
    »In der Tat.« Veden vergrub die Hände in den Hosentaschen und nickte einer Schülerin zu, die an ihnen vorbeiging. »Zwei Berichterstatter der Schülerzeitung haben sich in den Archiven ein Stelldichein gegeben. Sie wissen schon, eine jugendliche Romanze, die während der Arbeiten am Jahresrückblick ihren Anfang genommen hat. Als sie zusammen an einem Artikel arbeiteten, wollte der junge Mann besonders romantisch sein und seine Angebetete im Kerzenschein verführen. Im Eifer vergaßen sie die Kerze. So zumindest haben mir die beiden die Geschichte erzählt. Ich hielt sie für glaubwürdig.«
    »Ja, klingt glaubwürdig.«
    »Sie graben diesen uralten Fall wieder aus?«
    Tim schüttelte den Kopf. »Ich habe mich nur gewundert, wo die fehlenden Akten sind, und als mir Frau Benz davon erzählt hat, fiel mir das auf. Das ist alles.«
    Veden lächelte wieder. »Dann kennen Sie ja jetzt die Antwort. Sie machen Feierabend?« Er warf einen Blick auf die Armbanduhr, die er über den Lederriemen trug. Ein eigenartiger Anblick: abgeriebene, fransige Lederriemen, darüber eine teure Golduhr.
    »Ja. Sechzehn Uhr.«
    »Sie haben ein Leben!« Der Direktor zeigte wieder Zähne. »Nun muss ich aber weiter, Herr Jung. Nicht alle können so früh dem Müßiggang frönen.« Er tätschelte Tims Schulter, drehte sich um und ging mit großen Schritten in Richtung seines Büros

Weitere Kostenlose Bücher