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Die Akte Veden

Die Akte Veden

Titel: Die Akte Veden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Meier
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kurzerhand aus dem Gebüsch, rannte auf den See und einen der Stege zu. Seine Schritte polterten laut über das Holz. Als er am Ende des Steges angekommen war, stieß er sich ab und wurde vom eiskalten Wasser verschlungen. Chest tauchte noch einmal auf, holte tief Luft und übergab sich anschließend der nassen Dunkelheit. Er schob mit den Füßen an, die Lippen fest aufeinander gepresst, während seine Hände noch immer die MP umfangen hielten. Als ihm klar wurde, dass die Waffe jetzt vollkommen nutzlos war, ließ er sie los.
    Wieder ein Beweis, dass Waffen nichts brachten.
    Bald merkte er, dass ihn etwas nach unten zog. Ein unsichtbares Fahrwasser. Es ging schneller voran. Die Finsternis nahm zu, er konnte jetzt überhaupt nichts mehr sehen. Seine Lungen fingen an, zu brennen, doch Chests Wille war stärker.
    Er streckte die Arme aus, und bald stießen sie gegen Beton. Chest tastete herum, wehrte sich gegen den Sog und fand schließlich, was er gesucht hatte: ein Rohr. Zufrieden stellte er fest, dass es groß genug für ihn war. Mit ausgestreckten Armen übergab er sich wieder dem Sog, ließ sich in das Rohr ziehen. Chest hörte auf, sich zu bewegen, tastete allerdings mit den Armen die Dunkelheit vor sich ab. Das abfließende Wasser aus dem See schob ihn vorwärts.
    Seine Lungen kreischten jetzt nach Luft. Das Blut brachte seinen Schädel zum Pumpen, seine Augen fühlten sich an, als würden sie ihm jeden Moment aus dem Kopf treten.
    ›Mir geht es gut‹, dachte Chest mit aller Kraft, die er noch hatte. ›Meine Lunge hat noch viel Luft. Ich werde es schaffen.‹
    Der Weg durch das Rohr erschien ihm schier endlos. Seine Finger streiften merkwürdig schleimige Dinge, und einmal drückte sich etwas wild Zappelndes an ihm vorbei. Chest reagierte nicht, er zuckte nicht einmal zusammen. In seinem Kopf wiederholten sich beständig die Worte: ›Mir geht es gut. Ich werde es schaffen.‹
    Und dann war er plötzlich frei. Es fühlte sich an, als würde ihn ein Riese auskotzen. Es gab ein kurzes Stocken vor dem Austritt auf der anderen Seite, ein Plopp !, und dann war er frei.
    Ein Moment der Orientierungslosigkeit folgte. Er drehte sich mehrmals um die eigene Achse, die Augen weit aufgerissen. Chest hörte sofort auf, sich zu bewegen, und allmählich wurde sein Körper in eine Richtung gezogen. Sobald er sich sicher war, begann er mit den Schwimmbewegungen. Kurz darauf durchbrach sein Kopf die Wasseroberfläche, Chest schnappte wild nach Luft.
    Er sah sich um. Es war, wie er vermutet hatte: Er befand sich im Fluss, der durch die Stadt floss. Eine dreckige, verschlammte Ader, das Wasser so giftig wie alle Schlangen der Welt zusammen. Ein Blick in Richtung des Sees: Es war, als wäre die Sonne verfrüht aufgegangen. Ein künstliches, grelles Licht lag über dem Viertel, so aufdringlich wie der Lärm der Salven, der durch die Luft zu ihm getragen wurde. Der Fluss aber lag im Dunkeln, unberührt und unbeachtet.
    Chest legte sich auf den Rücken, spielte Toter Mann und hielt still und ließ sich erneut von der Strömung davontragen wie ein verirrtes Stück Holz, die Augen starr in den Himmel gerichtet.

    *
    Er duschte heiß. Er ließ sich dafür nur so viel Zeit, bis er sicher war, dass sich sein Körper wieder aufgeheizt hatte, aber auch nicht weniger, um sicherzugehen, dass er nicht krank werden würde.
    ›Mir geht es gut‹, dachte er noch immer.
    Anschließend trat er nackt vor den Spiegel und betrachtete die Verletzungen. Bagatellen. An der rechten Schulter, dem Oberschenkel und der Hüfte hatten ihn Kugeln gestreift. Der Rest von ihm sah aus, als wäre er in einer Hexelmaschine gelandet. Das Dickicht hatte ihm fast keine einzige Stelle gelassen, die ohne Kratzer, Blutergüsse oder Prellungen war.
    Chest versorgte die tiefsten Wunden, zog sich an und band sich Lederriemen und die Schlagringschnallen um die Arme. Dann zog er sich einen zweiten Pullover über, weil seine Jacke noch klitschnass war, schlüpfte in ein altes Paar Turnschuhe und verließ die Wohnung.
    Fünfzehn Minuten später stand er im Schatten der Eingangstür in der Stadtmitte. Chest wartete einige Momente, bis er sicher sein konnte, dass niemand in der Nähe war, dann trat er die morsche Tür mit einem Tritt aus den Angeln. Gezielten Schrittes marschierte er in den ersten Stock, trat auch dort die Wohnungstür ein. Dafür brauchte er drei Schläge, denn wie alle Wohnungstüren war sie mit mehreren Schlössern verriegelt.
    Chest trat über die kaputte

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