Die Albertis: Roman (German Edition)
schlüpfte in ihre Hausschuhe, die an der Wand zum Ankleidezimmer standen. Luis, todmüde und mit rutschender Schlafanzughose, tapste herein. Er schien sich nicht entscheiden zu können, ob er sich die Augen reiben oder die Hose festhalten sollte. Seltsam, wie sich in solchen Momenten die Gedanken überschlagen, wie Purzelbäume, und man dabei auf Nebenwegen landet: Ich muss einen Gummizug einziehen, dachte sie, das darf ich morgen früh nicht vergessen!
«Mama, was ist los?»
«Ich weiß es nicht, Liebling.» Sie drückte ihn, ließ ihn sofort wieder los, denn unten wurden die Stimmen lauter. «Geh zu Bett.»
«Sind das Einbrecher?»
«Nein, das glaube ich nicht.» Sie guckte auf den elektronischen Wecker auf Pauls Nachttisch. Es war halb drei. «Lass mich schnell runter, ja? Ab ins Zimmer.» Sie nahm ihn an die Hand, gemeinsam gingen sie in den Flur hinaus.
«Sagst du mir Bescheid?»
«Ja.»
Er verschwand. Eilig lief Anne ins Erdgeschoss. Paul hatte überall Licht gemacht, die Zwischentür zum Eingangsbereich war geöffnet: Anne sah Paul mit vier Männern in dunklen Lederjacken diskutieren, die Haustür war sperrangelweit offen, draußen standen zwei weitere Männer, Polizeibeamte, und vor der Gartenpforte parkten drei Autos, wovon eines ein Polizeiwagen war, dessen Blaulicht sich leise und gleichförmig drehte.
«Guten Abend!», sagte sie. «Was ist hier los?»
Einer der Männer, der sich zum Sprecher der Gruppe machte, tippte an seine Stirn wie an eine Mütze. Er erklärte, was Paul bereits wusste: Die Polizei hatte Anuschka vor der Tanzbar geschnappt mit eintausendfünfhundert Stück Ecstasy-Pillen. Sie war festgenommen worden und befand sich, wie der Beamte sich ausdrückte, «im Gewahrsam der Polizei».
«Im Klartext: Sie sitzt auf der Polizeiwache in Ahrensburg in einer Zelle. Wie eine Verbrecherin!», erklärte Paul bitter. «Aber wieso? Ich meine ...»
Die Geschichte war noch nicht zu Ende, sie ließ sich noch steigern, wie Anne feststellten musste, auch wenn der Mann sie ruhig und sachlich und beinahe kalt vortrug: Anuschka hatte die Drogen bei sich, um mit ihnen zu handeln, wie die Polizei vermutete. Seit Wochen schon hatte man sie beobachtet, sie und ihren Freund Stivi, bei dem man allerdings keine einzige Ecstasy gefunden hatte und den man wieder laufen lassen musste.
«Drogenhandel ist ein schwerwiegendes Vergehen!», sagte der Beamte. «Und eine solche Menge, wie wir sie bei ihrer Tochter gefunden haben, ist kein Pappenstiel.» Nun seien die Polizisten hier, um eine Hausdurchsuchung vorzunehmen. Unwillkürlich knotete Anne den Gürtel ihres Morgenmantels enger. Der Beamte, ein gemütlicher Mann Mitte fünfzig, mit Apfelbacken und rötlichen Haaren, die einen dünnen Kranz an seinem Hinterkopf bildeten, versuchte verständnisvoll zu wirken. Er sagte, er sei selbst Vater von drei Kindern und er könne sich vorstellen, wie sich Anne und Paul jetzt fühlten. Er sprach vom Schock der Eltern in solchen Situationen, ihrer Ahnungslosigkeit und Hilflosigkeit, und er berichtete, wie weit verbreitet der Konsum von Ecstasy inzwischen bei Jugendlichen sei und um was für ein gefährliches «Teufelszeug» es sich handelte. Wie oft sie schon junge Menschen, die «das Leben doch erst noch vor sich» haben, «von der Straße aufgekratzt» hätten, «auf der Schippe des Todes, völlig weg oder halb bekloppt, na, ich sage Ihnen!»
«Sie brauchen uns das nicht zu sagen!», meinte Paul und er wirkte aggressiv. «Ich bin Arzt.»
«Na gut, dann zeigen Sie uns bitte jetzt das Zimmer Ihrer Tochter.»
Paul ging voran. Die Beamten durchsuchten alles, mittlerweile waren auch Pavel und Laura aufgetaucht, Luis zum zweiten Mal. Selbst Edward war wach geworden und heruntergekommen. Die Polizei fand nichts. Nach einer halben Stunde war der Spuk vorbei. Anne schickte die Kleinen wieder zu Bett. Gemeinsam mit Pavel und Edward setzten sie sich in die Küche und tranken zur Beruhigung ein Glas Rotwein. Pavel war wie ausgewechselt. Er versuchte Anne und Paul zu beruhigen und meinte, die ganze Sache wäre bestimmt ein Missverständnis, und er wollte am kommenden Tag freinehmen, um Paul dabei zu helfen, sich um alles zu kümmern, vor allem aber Anuschka aus dem Gefängnis zu holen.
Doch so leicht war das nicht. Noch bevor er die Praxis aufmachte, telefonierte Paul am nächsten Morgen mit einem alten Bekannten, Rechtsanwalt Dr. Kötter, der bereits kurz nach zehn im Hause Ross aufkreuzte. Er war ein kleiner, dicker Mann von
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