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Die Albertis: Roman (German Edition)

Die Albertis: Roman (German Edition)

Titel: Die Albertis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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vierzig Jahren, der seinen Bauch in eine zum klein karierten Anzug passende Weste gezwängt hatte und immer wieder seine Hände darauf legte, so als müsse er ihn schützen oder überprüfen, ob er noch vorhanden sei. Dr. Kötter war nicht, wie man im ersten Moment denken konnte, behäbig, nein, im Gegenteil, er war schnell in seinen Bewegungen und er redete unablässig. Seine leicht hervorstehenden Augen, die auf eine Schilddrüsenunterfunktion hindeuteten, wanderten ständig hin und her, wie flackernde Lichter, seine leicht rötlichen, dünnen, nach außen wegspringenden Haare zitterten ohne Unterlass. Er war Hypochonder. Seine Bekanntschaft zu Paul hielt er vor allem deshalb aufrecht, weil sie ihm Gelegenheit bot, hin und wieder, wenn er ans Sterben dachte, ihn anzurufen, die Symptome zu schildern, sich Rat zu holen und beruhigen zu lassen. Er litt unter einem nervösen Magen, denn in seinem Privatleben stand es nicht zum Besten. Seine Frau hasste ihn und er fürchtete sie. Hin und wieder konnte er ein Aufstoßen, selbst im Beisein anderer, nicht unterdrücken, dann entschuldigte er sich jedes Mal und suchte in seiner Aktentasche nach der Pillendose, nahm eine der Tabletten gegen Magensäure heraus, schluckte sie ohne Wasser.
    Anne bot ihm sofort etwas zu trinken an, doch er lehnte ab. Er saß weit nach vorne gerutscht auf dem Stuhl vor Pauls Schreibtisch, während Anne auf der Fensterbank hockte und zuhörte. Dr. Kötter hatte Erfahrung in solchen Fällen. Obwohl er in Hamburg lebte, hatte er einen Draht zur Staatsanwaltschaft in Lübeck, und bei einem Telefonat mit dieser Behörde, das er vom Auto aus auf der Fahrt nach Ahrensburg geführt hatte, fand er heraus, dass beim Amtsgericht bereits ein «Antrag auf Erlass eines U-Haftbefehls für Anuschka Ross» gestellt worden war.
    «Bis zum Ende des heutigen Tages kann man sie hier auf der Polizeiwache in Gewahrsam halten. Noch ist sie nur festgenommen, verstehst du?» Dr. Kötter drehte sich zu Anne hin. «Verstehen Sie? Dann kommt dies ganze Pipapo vor Gericht, Anhörung, U-Haftbefehl, es ist ungewöhnlich übrigens, dass eurem Mädel das passiert, ich will damit sagen: meistens dealen Jungs mit Drogen, nicht Mädchen. Nicht auszuschließen, dass dahinter noch jemand anders steckt. Sie muss natürlich alles auf den Tisch packen, verstehst du? Verstehen Sie?»
    «Ja», antworteten Anne und Paul wie aus einem Mund.
    «Nimmt sie selber Drogen, weißt du was davon?»
    «Halte ich für ausgeschlossen!», erwiderte Paul.
    «Ich nicht», meinte Anne. Beide Männer starrten sie an.
    Dr. Kötter zeigte hippelig zu Paul: «Gewichtsverlust, Stimmungsschwankungen, Schlaflosigkeit, dies ganze Pipapo: War sie aggressiv? Plötzlich überdreht und fröhlich, ganz ohne Grund? Was hat sie für Umgang? Was pflegt sie für Hobbys? Welche Musik hörte sie?» Dr. Kötter machte ein gurgelndes Geräusch, Luft blähte seine Wangen auf und entwich. «'tschuldigung. Na ja, bin weder Psychologe noch Vater.» Er lachte meckernd auf. Sein ganzer Körper bebte. «Und auch kein Arzt. Nur ein kleiner Anwalt.»
    Er redete ohne Punkt und Komma, und Paul wurde immer stiller. Insgeheim schämte er sich. Er schämte sich, hier zu sitzen, hilflos und dumm, und sich die versteckten Vorwürfe anhören zu müssen, die Fragen nicht beantworten zu können und offenbar in jene Kategorie von Vätern zu gehören, die nicht wussten, was mit ihren Kindern los war. Bis zur gestrigen Nacht hätte er seine Hand für Anuschka ins Feuer gelegt. Aus seiner Sicht war sie eine schöne, kluge und selbstbewusste junge Frau gewesen, die in ein intaktes Umfeld eingebettet war, der es an nichts mangelte, die ein gutes und ordentliches Leben führte, mit Geschwistern, Eltern, Freunden, mit Haus, Garten und Pferden, die Chancen hatte wie keine Zweite und vor der eine wunderbare Zukunft lag. Ganz so, wie er es sich für sie erträumt hatte. Doch der Traum war zerplatzt.
    Dr. Kötter riet zum Aufbruch. Paul informierte seine Sprechstundenhilfe Juliane, dass er für mindestens eine Stunde weg sein würde und die Patienten warten müssten. Dann gingen er, Anne und Dr. Kötter ins Wohnhaus hinüber, wo Paul seinen Autoschlüssel und seine Papiere holte. In der Küche saß Edward, der seit Wochen zum ersten Mal früh aus den Federn gekommen war, beim Frühstück. Er sah übernächtigt und besorgt aus und bot sofort an, sie zum Amtsgericht zu begleiten. Anne dankte ihm dafür, lehnte aber ab. Es war nicht nötig, dass er da auch

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